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2006 wurden in Österreich etwa acht wahrscheinliche Bisse einer Dornfingerspinne registriert.

Foto: APA/Gerhart Sampt

Bern - Schreckensmeldungen vergangener Jahre: Mediale Berichterstattung über gefährliche Spinnen in unseren Breitengraden, wie die angebliche Sichtung einer Sydney-Trichternetz-Spinne in der Schweiz im Jahr 2010 oder 2006 eine "Invasion" von Dornfinger-Spinnen. "Das waren beides Falschmeldungen", sagt Wolfgang Nentwig vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern.

Der Spinnenforscher wollte wissen, ob die weit verbreitete Angst vor Spinnen und Spinnenbissen auch eine medizinische Grundlage hat. Zusammen mit Medizinern des Instituts für Hausarztmedizin und der Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie des Universitätsspitals Zürich und des Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrums hat er Daten zu Spinnenbissen in der Schweiz gesammelt und ausgewertet. Bisher gab es zu diesem Thema europaweit keine verlässlichen Daten. Die Ergebnisse zeigen: Die Gefährlichkeit von Spinnen wird nicht nur in der Bevölkerung allgemein, sondern auch von Ärzten überbewertet.

Höheres Risiko durch Bienen- und Wespenstiche

Ausgewertet wurden Daten von allen Schweizer Hausärzten zu Spinnenbissen, die dem Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum gemeldet worden waren. Wolfgang Nentwig identifizierte jeweils die gefangenen Spinnen. Insgesamt wurden 14 Spinnenbisse registriert, die von fünf einheimischen Arten wie etwa der Hauswinkelspinne stammten. Alle Bisse riefen nur leichte Symptome hervor wie schwache Schmerzen, Rötungen und Schwellungen. In zwei Fällen wurden ältere Patientinnen wegen etwas stärkerer Schmerzen ins Spital geschickt, wo die Symptome innerhalb von Stunden ohne Nachwirkungen wieder verschwanden.

"Verglichen mit der Anzahl Spinnenarten, die in der Schweiz und in Europa leben, ist die Zahle der Bisse sehr gering", sagt Wolfgang Nentwig. In Europa sind 4500 Spinnenarten heimisch, in der Schweiz sind es rund 1000. Viele davon sind groß genug, um den Menschen zu beißen und dabei die Hautschicht zu durchdringen. "Dennoch tun sie das kaum, obwohl viele davon in der Nähe des Menschen und auch im Haus leben", betont der Spinnenforscher. Zudem rufen Spinnenbisse nur leichte Symptome hervor.

Ganz anders als die Stiche von Wespen und Bienen, die laut Nentwig "tödliche Tiere" in Europa seien: "An Wespen- und Bienengift sterben wegen allergischer Reaktionen in Europa mehrere Menschen pro Jahr, während weltweit seit 50 Jahren kein einziger Todesfall wegen einer giftigen Spinne registriert wurde – auch nicht in Ländern wie Brasilien oder Australien, wo die gefährlichsten Spinnen beheimatet sind."

Ärzte besser informieren

Diese Diskrepanz zwischen der Angst vor Spinnenbissen und ihrer medizinischen Harmlosigkeit führt der Spinnenforscher einerseits auf irrationale Ängste gegenüber Spinnen zurück. Andererseits seien Ärztinnen und Ärzte zu wenig geschult, um Spinnenbisse tatsächlich als solche zu erkennen. Vieles, was wie ein Spinnenbiss aussehe, sei in Wirklichkeit keiner.

Wissenschaftlich gesehen kann ein Spinnenbiss laut Nentwig nur dann als solcher bezeichnet werden, wenn die Spinne beim Biss beobachtet wurde, gleich danach gefangen und von einem Experten identifiziert wurde und drittens müsse der Biss Symptome hervorrufen, die typisch sind für Spinnenbisse. "Das heisst, dass auch Ärzte Spinnenbisse überschätzen", sagt Nentwig. Die Erkenntnisse der Studie wurden nun in der Zeitschrift "Toxicon" publiziert. Die medizinischen Aspekte dieser Studie werden zudem in "Swiss Medical Weekly" veröffentlicht, um dort insbesondere Allgemeinmediziner zu erreichen. (red, derStandard.at, 23.8.2013)