Salzburg - Im Großen Festspielhaus ist es zu schummrig, um in den Noten mitzulesen oder im Programmheft Informationen zu suchen. Aber das ist halb so schlimm, entspricht doch die Versenkung, in die sich Grigory Sokolov bei jedem seiner Konzerte begibt, zweifellos dem Grad der Abdunkelung, die er verlangt. Sein Programm umspannt zwei Gegenpole: Klavierstücke von Schubert, die immer noch gern als nette Kleinigkeiten missverstanden werden, und Beethovens Hammerklaviersonate, einen einsamen Gipfelpunkt im Klavierrepertoire.
Sokolov liebt die Spannung und breite Tempi: bei Schuberts Impromtus D 899, vor allem dem ersten, trotzt er gerade der extremen Langsamkeit fiebrigen Hochdruck ab, zärtlich nimmt er sich Zeit für die Arabesken der Nummern zwei und vier, lässt es aber den aggressiven Episoden nicht an Abgründigkeit fehlen. Fast schmucklos das elegische dritte Stück. Ein echtes Legato spielt Sokolov nicht, lässt die sangliche Linie mehr durch Farbabstufungen entstehen. Ähnlich die drei Klavierstücke D 946, wo der Pianist im ersten den rüden Dur-Moll-Wechsel herausmeißelte und gerade die von Schubert gestrichene zweite Episode zu einer Insel glückseliger Ländler-Erinnerung machte. Und im dritten Stück war es, als würde bereits später Beethoven anklingen. Überhaupt schien Sokolov die beiden Komponisten wie zwei Seiten derselben Medaille aufzufassen. Während er bei Schubert die großformale Anlage herausstellte, wirkte sein Beethoven wie in viele Episoden zergliedert, ohne dadurch an Einheit einzubüßen. Aber so zerklüftet wagt dieses Werk sonst kaum jemand zu zeigen.
Zweimal Verständigung
Tags darauf stand ein Projekt der Versöhnung auf dem Programm, als Daniel Barenboim mit seinem West-Eastern Divan Orchestra Station machte. Und so kam zu Ouvertürenhits der Jahresregenten Verdi und Wagner je ein Werk eines Jordaniers und einer Israelin - und fertig war die Völkerverständigung. Nun, ganz so einfach war die Sache natürlich nicht, hatte doch das Salzburger Publikum mit den Novitäten so seine Probleme: weniger mit Que la lumière soit für Trompete, Posaune, Vibraphon und Orchester von Saed Haddad, das ziemlich problemlos an einer gemäßigten Moderne zwischen Strauss und neuerer US-Orchestermusik andockt, als mit At the Fringe of Our Gaze für Orchester und Concertino-Gruppe von Chaya Czernowin, das zwischen atemloser Geräuschhaftigkeit und verlorenen Kantilenen oszilliert.
Brillanz demonstrierte der Maestro bei den mit viel Verve genommenen Ouvertüren zu Verdis Sizilianischer Vesper und zur Macht des Schicksals, orientierte sich bei den Vorspielen zu Akt I und III aus La Traviata vielleicht etwas zu sehr an Wagners Überdeutlichkeit. Die jungen MusikerInnen aus arabischen Ländern, Spanien und Israel agierten durchwegs fast tadellos, mit Ausnahme des Unisono-Beginns zum Parsifal -Vorspiel, und entwickelten im Vorspiel zu den Meistersingern ein Maximum an Kraft. Wichtiger aber die vielen programmatische Hinweise in dieser Stückfolge, die sich nicht nur an die israelische Politik richten, sondern insgesamt zum Nachdenken anregen können. (Daniel Ender, DER STANDARD, 26.8.2013)