Bild nicht mehr verfügbar.

Kein Kind in Indien werde mehr hungern, versprach Sonia Gandhi. Die Opposition wirft ihr Wahlkampfkalkül und Personenkult vor und warnt vor einer Verschärfung der Wirtschaftskrise.

Foto: AP Photo/Channi Anand

Neu-Delhi - Es ist ein großes Versprechen, das Sonia Gandhi ihren Landsleuten gibt: Kein Armer in Indien werde mehr hungrig bleiben, kein Kind mehr mit leerem Bauch ins Bett gehen, versicherte die Chefin der regierenden Kongresspartei. Wenige Monate vor den Wahlen verabschiedete das Parlament am Montagabend nach neunstündiger Debatte ein 18 Milliarden Dollar teures Programm, das als beispiellos gilt. Laut dem Gesetz sollen 800 Millionen Inder, zwei Drittel der Bevölkerung, stark verbilligte Nahrungsmittel erhalten. Gandhi sprach von einem "historischen Schritt".

Trotz massiver Kritik der Opposition kam das Gesetz durch. Gandhi selbst erlebte die Abstimmung allerdings nicht mit, weil sie am Montagabend aufgrund von Fieber und Brustschmerzen für einige Stunden ins Krankenhaus musste.

Auf dem Papier schreibt die Food Security Bill, wie das Nahrungssicherungsgesetz heißt, erstmals ein "Recht auf Nahrung" fest. Damit werden auf dem Lande 75 Prozent und in der Stadt 50 Prozent der Bevölkerung abgedeckt. Sie haben künftig Anspruch auf monatlich fünf Kilogramm Grundnahrungsmittel zu stark subventionierten Preisen: Ein Kilogramm Reis soll es für drei Rupien geben, Weizen für zwei und Getreide für eine Rupie. Die normalen Preise betragen ein Vielfaches davon. Für Schwangere und stillende Mütter sieht das Programm Gratismahlzeiten vor - ebenso wie für Schulkinder unter 14 Jahren.

Vorwurf des Stimmenkaufs

Das Hilfsprogramm ist allerdings umstritten. Die Opposition hält es nur für ein populistisches Machwerk, mit dem die Regierung sich Stimmen erkaufen will. Sie sprach von einem "Wahl-Gag". Auch Experten lassen kaum ein gutes Haar daran. Das Gesetz gehe an den Wurzeln der Armut vorbei und drohe die akute Schwäche der Wirtschaft noch zu verschärfen. Ihre Warnungen scheinen begründet zu sein. Am Dienstag stürzte die Rupie auf ein Allzeittief, auch die Börsenkurse brachen weiter ein.

Dabei bestreitet auch die Opposition nicht, dass Hilfe nottut. Obwohl Indien über Jahre mit Zuwachsraten von acht bis zehn Prozent glänzte, hungern weiter Millionen Menschen - und prozentual gesehen weit mehr als in Nachbarstaaten wie Pakistan oder Sri Lanka. Fast die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren ist unterernährt, ein Drittel der ärmsten Menschen der Welt lebt in Indien.

In dem Riesenland spielt sich eine stille Tragödie ab. Nach Schätzungen sterben Tag für Tag 3000 Kinder an Hunger und den Folgen. Zornig hat der Nobelpreisträger und Ökonom Amartya Sen, einer der berühmtesten Söhne Indiens, jüngst mit seiner Heimat abgerechnet. "Es gibt Gründe für Indien, das Haupt in Scham zu senken. Neben den Erfolgen gibt es gigantisches Versagen."

Zweifel an Effektivität

Experten bezweifeln, dass das neue Programm den Hunger besiegt und wirklich den Ärmsten der Armen zugutekommt. Stattdessen würde nach dem Gießkannenprinzip verteilt, ohne die Bedürftigen zu definieren.

Indien hat keinen Mangel an Hilfsprogrammen. Nur: Die meisten erreichen die Armen nicht, weil Gelder in den falschen Taschen versickern. Dieses Schicksal könnte auch dem neuen Gesetz drohen. Wie bisherige Nahrungsprogramme will es sich des staatlichen Verteilungssystems mit seinen 500.000 Läden bedienen. Mangels adäquater Lagerung und Logistik verrotten dort massenhaft Waren.

Dennoch war die Regierung wild entschlossen, das Gesetz hurtig durchs Parlament zu hieven. Nach bald zehn Jahren an der Macht hat sie wenig vorzuweisen. Obwohl das Gesetz noch nicht verabschiedet war, startete das Programm am 20. August. Sonia Gandhi hatte darauf gedrungen, weil dies der Geburtstag ihres ermordeten Mannes Rajiv war. Dies lässt ahnen, wie sehr die Kongresspartei im Wahlkampf auf alte Rezepte setzt: den Personenkult um die Gandhis und das Verteilen von Gaben ans Volk. (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 28.8.2013)