Ban Ki-moon wusste, welche Reflexe er auslöst, wenn er um "mehr Zeit" für die Uno-Inspektoren in Syrien bittet: Wobei im Jahr 2003 derlei Appelle nicht vom damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan kamen, sondern vom Chef der Biologie-, Chemie- und Raketeninspektoren im Irak, Hans Blix - und von Mohamed ElBaradei. Die Worte des Generaldirektors der Atomenergiebehörde (IAEA) und späteren Friedensnobelpreisträgers (und noch späteren ägyptischen Oppositionspolitikers), dass Inspektionen "Krieg verhindern können", wurden ihm in Washington so schwer verübelt, dass die USA 2005 monatelang die Verlängerung seines Jobs blockierten.

Syrien 2013 ist mit dem Irak 2003 jedoch nur insofern zu vergleichen, als in beiden Fällen die Ergebnisse der Inspektionen für die USA und ihre Alliierten nicht wirklich relevant sind: Vor Wiederaufnahme der Irak-Inspektionen im November 2002 gab es unter den amerikanischen Irak-Falken sogar Stimmen, die ausdrücklich davor warnten, dass sich die Inspektionen als Falle herausstellen könnten: Was, wenn die Inspektoren Saddam Hussein eindeutig entlasten? Müsse man dann den Krieg - auf den man seit 2001 hinarbeitete (ohne einen Gedanken an die Nachinvasionszeit zu verschwenden) - absagen? In Syrien hingegen gibt es keinen Krieg mehr zu verhindern, nur mehr dessen Erweiterung.

Die USA, Großbritannien und Frankreich haben diesmal deshalb nicht viel Interesse an den Resultaten der Inspektionen, weil ein unklarer Befund über die eingesetzten Mittel kontraproduktiv wäre, auch wenn es um weniger als ein unter die Chemiewaffenkonvention fallendes Giftgas gehen würde. Aber auch ein positiver Sarin-Befund wäre nur halb so viel wert, wenn die Inspektoren den Autor der mutmaßlichen Giftgasangriffe nicht benennen.

Dazu wären sie theoretisch schon in der Lage - nämlich wenn sie die Gefechtsköpfe, in denen das Material aufgetragen wurde, untersuchen und sie eindeutig zuordnen könnten. Aber das ist bei den derzeitigen Inspektionen unter der Ägide des Assad-Regimes auszuschließen. Im Gegenteil, da besteht die Gefahr, dass den Inspektoren etwas untergejubelt werden soll, das auf die Rebellen hindeutet.

Im Irak waren die Inspektoren mit einem vom Uno-Sicherheitsrat verliehenen Mandat versehen, das an Aggressivität nichts zu wünschen übrigließ. In Syrien ist die Basis der Inspektionen eine Vereinbarung zwischen dem syrischen Regime und der Uno, die nur für bestimmte Fälle galt und ad hoc nach dem Vorfall vorige Woche erweitert wurde. Die Inspektoren sind sehr stark vom Regime abhängig.

Wie 2003 - und 1998, inmitten der Lewinsky-Affäre (auch damals hatte der Irak übrigens keine Massenvernichtungswaffen mehr) - werden die USA nicht losschlagen, solange noch die Inspektoren im Land sind. Wenn sie aus New York ihren Marschbefehl erhalten, ist es so weit. Manche meinen nun, Ban sollte sie nicht abziehen, dann gäbe es keinen Krieg. Das wäre aber genauso eine Geiselnahme, wie wenn Assad sie nicht gehen ließe. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 29.8.2013)