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Sucht die Geschichten hinter den Noten: Dirigent Manfred Honeck (Jahrgang 1958).
Wien - Man darf sich Manfred Honeck als zufriedenen Zeitgenossen vorstellen. In diesem Jahr gab es für ihn, der einst bei den Wiener Philharmonikern Bratschist war, Debüts bei den Berlinern wie auch beim London Symphony Orchestra und den New Yorker Klangkünstlern. Und als Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra ist er 15 Wochen im Jahr in Übersee, um als Chefdirigent für jene Qualität zu sorgen, die man Donnerstag und Freitag beim Festival in Grafenegg erleben kann.
Zur Zufriedenheit tragen auch die Eigenheiten seines Orchesters bei: "Wenn man die Entwicklung der Orchesterkultur betrachtet - ich meine jetzt nicht wirtschaftlich gesehen, sondern die Spielweise betreffend -, ist es interessant, dass sich eine Art Globalisierung ereignet hat. Es gab Zeiten, da waren viele Orchester unverkennbar, es gab Elemente, die man identifizieren konnte."
Heute sei eben vieles austauschbar geworden, "wobei die Pittsburgher irgendetwas Spezielles haben, vielleicht weil sie in keiner großen amerikanischen Stadt beheimatet sind. Dieser brillante Klang das Blechs - fantastisch! Die haben eine Energie im Klang, gehen auf die Musik los - da muss man als Dirigent manchmal ein bisschen aufpassen."
Auch ökonomisch ist die Lage stabil, nachdem die Wirtschaftskrise in den USA auch die Orchester ordentlich durchgebeutelt hat, wobei: "Es geht zwar schon besser. Ich weiß nur nicht, ob man der Lage wirklich trauen darf. Man ist noch immer in einer gewissen Spannung, es herrscht ein eigenartiges Gefühl vor." In Erinnerung ist vielleicht, wie das Philadelphia Orchestra 2011 in Konkurs ging. Pittsburgh kam allerdings nie in diese Gefährdungslage und ist nun auf Europatournee: Berlin, Luzern und Bonn sind dabei, "erstmals auch das Enescu-Festival in Bukarest. Wir sind aber auch in Paris - London ging sich zeitlich nicht aus", so Honeck, der nebst einem individuellen Gesamtklang auch Kontraste innerhalb des Orchesters fördert.
"Eine gewisse Balance muss insgesamt da sein, ich bin aber kein besonderer Freund von Nivellierung. Es ist ein bisschen wie beim Sprechen: Wenn man immer im Mezzoforte spricht, schläft das Gegenüber irgendwann ein. Warum soll ich also unbedingt den Sound einer Trompete dem einer Geige angleichen?" Auch wesentlich: Honeck geht immer der Stückgeschichte wie den Geschichten hinter den Noten nach und entwickelt so seine Ideen zu Dynamik und Phrasierung.
"Ein Bruckner wird bei mir immer weich, choralmäßig sein und nie fetzig. Auch hat jedes Stück für mich ein Programm, irgendeine Geschichte ist für mich immer enthalten. Ich will Musik aber natürlich authentisch präsentieren, es muss schon alles plausibel sein und nicht aufgesetzt wirken." Im Konzertalltag diesbezüglich die richtige Dosis an Vorbereitung zu finden, ist nicht leicht: "Früher habe ich in die Noten hineingeschrieben 'enges Vibrato' oder 'schnelles Vibrato', aber das war ein bisschen zu viel Information. Die Musiker sind zwar total willig, oft aber hat man wenig Zeit, die Dinge auszuführen."
Genaue Vorbereitung
Kein Wunder, dass Honeck schon noch den einen oder anderen Wunsch offen hätte: "Ich versuche immer, tief in die Musik einzutauchen. Ich träume aber davon, mich irgendwann ein bisschen zurückzuziehen, mich längere Zeit nur wenigen Werken zu widmen." Das wäre nicht unbedingt ein Sabbatical, und man möge Honeck nicht missverstehen: "Ich bereite alles genau vor, aber gerade dadurch öffnen sich oft Dimensionen, bei denen man spürt, was noch möglich wäre."
Zurzeit könne er sich diese Phasen der Entschleunigung nicht leisten. Aber so "ein halbes Jahr für ein einziges Werk wäre toll. Da ließe sich vieles verfeinern, womöglich das Letzte herausholen." Im Gegenzug ist auch klar: "Am meisten hasse ich, wenn ich nur Routine spüre. Sobald das der Fall ist, wird es schmerzhaft, da einen Sinnfragen überkommen, auch wenn - ehrlich gesagt - dieses Herumdirigieren leicht zu bewerkstelligen wäre." Man darf sich, was Musik anbelangt, Honeck also auch als nicht ganz zufriedenen Zeitgenossen vorstellen. Auch ein Qualitätsmerkmal. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 29.8.2013)