Geschlechterstereotype machen sich auch im Innersten von technologischen Entwicklungen breit. Laptops und Rasierer werden aus Überlegungen des Gendermarketings nicht nur rosa oder pastellfarben gestaltet, bereits bei der Entwicklung werden Kompetenzen zu- oder abgesprochen. Der Effekt: Manche NutzerInnen müssen eine größere Anpassungsleistung erbringen oder bleiben ewig Anfängerinnen.
Corinna Bath, Professorin für Gender, Technik und Mobilität an der TU Braunschweig, sucht nach Methoden, um das in der Forschung und Entwicklung so früh wie möglich zu vermeiden, und verknüpft dazu Informatik mit Geschlechterforschung. Im Rahmen der Sommer-Uni "Ditact_Women's IT Summerstudies 2013" sprach sie in einem Vortrag über "problematische Vergeschlechtlichungen von informatischen Artefakten" und mit dieStandard.at unter anderem darüber, wie Technik durch Geschlechterforschung verbessert werden könnte.
dieStandard.at: Frau Bath, Sie lehren an einem Institut für Maschinenbau. Wie viele Professorinnen gibt es neben Ihnen noch?
Corinna Bath: Vor mir wurde im Jahr 2011 noch eine Professorin eingestellt, inzwischen sind wir zu dritt. Ich habe in den 80er Jahren Mathematik studiert. Da war der Anteil an Studentinnen mit 30 Prozent gar nicht so niedrig, wie man annehmen würde. Die Verteilung auf verschiedene Fächer war aber sehr unterschiedlich. In meinem Fach Logik waren es nur eine Handvoll.
dieStandard.at: Später sind Sie zur Informatik gewechselt.
Bath: Ja, dort konnte ich Fragen der Geschlechterforschung besser einfließen lassen. In der Informatik ist klar, dass es NutzerInnen und gesellschaftliche Auswirkungen von Technologien gibt. Deshalb hatte mich dieses Fach begeistert.
dieStandard.at: Bei welchen Technologien spielt Geschlecht konkret eine Rolle und was sind "informatische Artefakte"?
Bath: Textverarbeitungsprogramme, Betriebssysteme, Software oder IT-Systeme größerer Art sind solche Artefakte. Ich wähle den Begriff der informatischen Artefakte, weil in der Informatik ja nicht nur Produkte produziert werden. In der wissenschaftlichen Informatik werden Theorien, Methoden und Algorithmen kreiert und Grundlagenforschung gemacht. Schon in diesen Stadien kann Vergeschlechtlichung passieren und ist dann oft viel grundlegender, als wenn Vergeschlechtlichung "nur" in den Produkten steckt. Man muss also schon tiefer gegen eine negative Vergeschlechtlichung in Technologien vorgehen.
Ich stelle mir daher die Frage, welche methodischen Grundsteine man legen könnte, um diese Fallen der Vergeschlechtlichung zu vermeiden.
dieStandard.at: Aber ein Algorithmus ist doch etwas Formalisiertes, inwiefern kann in einem solchen eine soziale Dimension stecken?
Bath: Eine Kollegin, die im Bereich der Neurowissenschaft forscht, hat einen Versuch durchgeführt: Sie hat Algorithmen untersucht, die aus den Rohdaten von Computertomografien diese bekannten bunten Bilder von Gehirnen berechnen. Es gibt dafür Standard-Algorithmen. Mit den entstehenden Bildern wird oft argumentiert, dass Frauen sprachlich begabter seien oder dass Männer besser navigieren könnten. Die populären Auswüchse solcher Aussagen kennen wir - von wegen Männer könnten nicht reden und Frauen nicht einparken. Bei dem Versuch wurden zwei verschiedene Algorithmen auf ein und denselben Datensatz losgelassen. Das Ergebnis war, dass mit dem einen Algorithmus Geschlechterdifferenzen herauskamen, bei dem anderen Algorithmus allerdings nicht.
dieStandard.at: Aber geht es in dem Beispiel tatsächlich um den Algorithmus selbst oder um die Darstellung der Ergebnisse?
Bath: Das ist eben genau die Frage, denn was heißt "der Algorithmus selbst"? Ich vertrete die Position, dass es keinen "Algorithmus selbst" gibt. Man kann ihn nicht isolieren und sagen, der Algorithmus ist neutral, und wenn er in der Welt angewandt wird, ist er es nicht mehr. Algorithmen werden angewandt, haben Zwecke und sind somit auch nicht mehr unschuldig.
dieStandard.at: Gehen wir einen Schritt weiter. Wie fließt Geschlecht in die Konstruktion von Maschinen ein?
Bath: Ein Beispiel liefern Textverarbeitungssysteme, die um 1979 gebaut worden sind. Als Zielgruppe galten Sekretärinnen. Diese Textautomaten wurden für technisch Inkompetente gebaut und sorgten auch dafür, dass die Nutzerinnen es weiterhin blieben. Heute markieren wir eine Textstelle und bearbeiten sie anschließend - löschen sie oder was auch immer. Damals musste hingegen zuerst ein Befehl eingegeben und dann die Stelle markiert werden, wo etwas gemacht werden soll. Das hat viele Prozesse sehr verlangsamt, es wurde auch zwischendurch immer wieder abgefragt, ob man das auch wirklich machen will. So wurde die Nutzerin zur ewigen Anfängerin gemacht.
Das Spannende ist, dass genau zur gleichen Zeit ein anderes System entwickelt wurde, nämlich Word-Star und Word-Perfect. Für deren Produktion hatte man zwar auch das Nutzerinnenbild "Sekretärin" vor Augen, dennoch wurde von einer sehr professionellen Umgangsweise ausgegangen. Es gab auch schon diverse Shortcuts, die Technikexperten verwendeten und die hier auch für andere NutzerInnen programmiert wurden. Es wurden also schon damals weibliche Nutzerinnen nicht per se als technisch inkompetenter betrachtet, sondern es gab vielfältige gleichzeitige Entwicklungen.
dieStandard.at: Die Schnittstelle zum sozialen Kontext liegt also in bestimmten Vorstellungen, manchmal klischeebehafteten, wer eine Technologie nutzt.
Bath: Genau. Ein weiteres interessantes Beispiel ist eine Studie über Rasierapparate, die anfangs nur für Männer produziert wurden. Ab den 50er Jahren gab es auch Frauenrasierer, die sich aber lediglich durch Farbe oder Verpackung unterschieden. Später hat man dann Apparate gebaut, die auch technisch anders waren. Sie konnten zum Beispiel nicht geöffnet werden, während das bei Männerrasierern schon ging, oder sie hatten ein Display, um eine Vorstellung zu bekommen, was da im Inneren passiert. Die Studienautorin resümierte, dass dadurch Zuschreibungen von Technik-Kompetenz oder -Inkompetenz im Zusammenhang mit Geschlecht produziert wurden.
dieStandard.at: Somit könnte man sagen, dass die Firma Apple die Zuschreibung der Technik-Inkompetenz auf alle NutzerInnen ausgeweitet hat. Dass die Geräte nicht geöffnet und auseinandergebaut werden können, ist ja Merkmal von Apple-Produkten.
Bath: Ja, das wird von technisch versierten Menschen oft kritisiert, dass sie da nichts ändern können. Im Gegensatz zu den Rasierern werden die Apple-Produkte jedoch nicht "für die Frau" verkauft und damit kein explizites Geschlechterstereotyp aufgebaut.
dieStandard.at: Sie meinten, Sie möchten mit Methoden dagegen arbeiten, dass es zu einer negativen Vergeschlechtlichung kommt. Wie?
Bath: Die Methoden der Informatik zur Gestaltung von Technik geben verschiedene Wege vor. Meine Idee ist, diese Methoden noch stärker um Geschlechterforschungs-Perspektiven anzureichern. Es gibt zum Beispiel Tests mit realen NutzerInnen, die oft nicht ausreichend durchgeführt werden. Ich wundere mich oft über die Auswahl der NutzerInnen dafür, da werden schon mal Studierende aus der eigenen Fakultät - zum Beispiel Informatik - ausgewählt, die - wie wir alle - auf eine bestimmte Weise vorgeformt und sozialisiert sind. Denen fällt dann gar nicht auf, dass man bei bestimmten Anwendungen tüfteln muss. Deshalb ist es wichtig, eine große Vielfalt von realen NutzerInnen einzubeziehen.
dieStandard.at: Aber durch die Sozialisation werden auch bestimmte Stereotype reproduziert. Die können Männer und Frauen bei NutzerInnentests ja nicht ablegen.
Bath: Ja, das ist ein Problem. Nichtsdestotrotz kann man mit breit angelegten NutzerInnentests Produkte vielfältiger nutzbar machen. Wir müssen davon wegkommen, was man in der Geschlechtertechnikforschung "Ich-Methodologie" nennt: dass GestalterInnen von Technik annehmen, dass die NutzerInnen so sind wie sie selbst und auch dieselben Kompetenzen haben. Dadurch entsteht oft eine Nerds-für-Nerds-Technik.
Warum gibt es etwa so wenige Haushaltstechnologien, die uns wirklich entlasten? Es gibt zwar diese kleinen Roboter, die freie Flächen putzen können, aber dazu muss man eigentlich das ganze Zimmer umräumen. Ich denke, wenn man da so viel Energie und Forschung hineingesteckt hätte wie bei anderen Technologien - ich will jetzt aber keine Vergleiche anstellen -, dann könnten diese Haushaltstechnologien schon weiter sein. Wir müssen uns somit fragen, für welche Probleme überhaupt technische Lösungen gesucht werden.
dieStandard.at: Wie groß ist das Interesse an diesen Fragen an Maschinenbau- oder Informatikinstituten?
Bath: Wenn die Studierenden genauer wissen, worum es dabei geht, ist das Interesse durchaus da. Das Problem ist aber oft, dass es eine Abwehrhaltung gibt und sich viele fragen, was sie als Mann denn damit zu tun hätten. Es wird oft als persönliches Problem gesehen. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 29.8.2013)