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Guangzhou liegt am Perlflussdelta.

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Eine Showbühne für die architektonische Avantgarde hat sich das alte Kanton mit Zaha Hadids Opernhaus in die Stadt geholt.

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Guangzhous Perlfluss lebt heute von der schönen Illusion, Verkäufer auf Drachenbooten würden die Geschicke der Handelsregion "Pearl River Delta" lenken.

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Fesch verpackt verlässt kantonesischer Tee Guangzhou.

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Und geschickt verpackt als "typisch chinesisches Essen" wurden Gerichte aus Kanton in die ganze Welt exportiert.

Anreise: Flüge von Wien nach Guangzhou zum Beispiel mit Eva Air via Taipeh. Alternativ unter anderem mit Austrian nach Peking und weiter mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug.

Unterkunft: Grand Hyatt Guangzhou: Das Haus liegt in Zhujiang New Town mit Blick auf die neu entstandene Skyline.
Shangri La Guangzhou
Sofitel Guangzhou Sunrich

Grafik: DER STANDARD

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Foto: Georges Desrues/

Kanton, Huacheng Square, so gegen halb acht am Abend. Das Nervenzentrum des Businessviertels Zhujiang New Town verwandelt sich soeben ins Wohnzimmer von Guangzhou - so der heutige Name von Kanton. Verliebte tänzeln am neuen Musikbrunnen vorbei. Zeichentrick-Polizisten hetzen über haushohe Bildschirme, und ihre Schlagstöcke schmieren verdächtig weich über den Monster-Monitor. Einzelne Kinder spielen darunter Tempelhüpfen. Wozu sonst wären die in den Boden eingelassenen Lichtbänder denn auch da?

Ein paar Sprünge weiter hat sich die Idee von einem aufgeschlagenen Seidentuch als sanft ondulierte Rasenfläche manifestiert, darauf steht ein futuristischer Würfelbau mit Aluminiumhaut. Es handelt sich um das Guangdong-Museum. Ein mit Klappmechanismen und Geheimfächern versehenes Schmuckkästchen schwebte den Planern vor. Bezüge zur traditionellen Bauweise Chinas spielten für die Hongkonger Architekten von Rocco Design ebenfalls eine Rolle. Da wären etwa die Innenhöfe: Sie haben sich in durchscheinende Membranen verwandelt und in vielschichtige Räume aus geheimnisvoll einsickerndem Licht.

"Büchse der Pandora" haben die skeptischen Kantonesen ihr neues Museum getauft und mit 166.000 wertvollen Exponaten gefüllt. Einer Zauberkiste, aus der in atemberaubendem Tempo neue Dinge quellen, gleicht hingegen der ganze Bezirk. Der Blick auf den nahen Fluss, der Guangzhou mit dem Südchinesischen Meer verbindet und die umliegende Provinz Guangdong mit der ganzen Welt, soll da nicht täuschen. Gemächlich schieben sich Dinner-Cruise-Boote durch das flüssige Blei des Perlflusses und wirken dabei eigentümlich antiquiert. Zur futuristischen Architektur, die Guangzhous Skyline prägt, passen die goldenen Drachenköpfe der Kähne nur mehr bedingt. Denn die Büchse der Pandora öffnet sich ja keineswegs nur am Huacheng Square.

Da wäre etwa auch die ovale Seegurke des hoch aufragenden IFC Tower, in dessen Innerem der General Manager des neueröffneten Four Seasons vom spektakulärsten Atriumhotel der Gegenwart schwärmt. Doch auch das ist bloß eine von vielen Facetten, die Guangzhou zuletzt ins Rampenlicht internationaler Architekturmagazine katapultierten. Die neue Pearl River Plaza kann nämlich noch viel mehr: Skateboarder wedeln wellige Rampen herunter; die neue Bibliothek erinnert an ein offenes Buch aus Beton; hunderte alte Bäume wurden eingepflanzt. Deren gemächlichem Wachstum musste allerdings per Kran und Bagger auf die Sprünge geholfen werden.

Sichtbeton für die Bonzen

Inseln aus Kirsch- und Pfirsichblüten leuchten im Norden des Parks, und darunter erstrecken sich weitläufige Shoppingmalls für Chinas neue KP: die Businessbonzen der heutigen Konsumerismus-Partei. Mitunter tönen sogar Opernarien aus dem Beton, und dann kann der Beton fliegen. Zumindest aber sieht er wie ein Ufo aus - eines, das Zaha Hadid, die berühmte Architektin, für Kanton zusammengeträumt hat: aus viel Glas und aus Sichtbetonecken. Denn auch ein avantgardistisches Operngebäude wollte sich die Drei-Millionen-Stadt leisten - und am gegenüberliegenden Ufer das höchste Bauwerk Chinas: den 600 Meter hohen Fernsehturm, zugleich die vierthöchste freistehende Struktur der Welt.

All das ist freilich mehr als der Kraftakt einer wild gewordenen Stadtverwaltung, die mit Peking und Schanghai in den Ring steigen will. Denn in Wahrheit ist Guangzhou auf der Suche nach den eigenen Grenzen, die sich in der PRD-Dunstglocke verlieren. PRD steht für Pearl River Delta und beherbergt allein im urbanen Umraum 25 Millionen Menschen. Schlagzeilen schrieb die Stadt auch zur letzten Jahreswende als südliche Endstation des ersten, quer durchs Land führenden Hochgeschwindigkeitszuges. Für die 2300 Kilometer von Peking braucht dieser Zug nur rund acht Stunden.

Blickt man von der Aussichtsplattform des Guangzhou Tower, wird schnell klar: Ein Ende der Wachstumsfantasien ist keines in Sicht. Denn Guangzhou glüht. Irgendwann, in vermutlich gar nicht so langer Zeit, wird es mit der Grande Dame Hongkong, dem Business-Kraftmeier Shenzhen und mit der Glitzer-Metropole Macao zu einem riesigen urbanen Cluster von 50 Millionen Menschen verschmolzen sein. Als "Fabrik der Welt" bezeichnet sich Guangzhou selbst, und schon jetzt gilt für die Region des Pearl River Deltas: Ein Viertel des chinesischen Handelsvolumens wird hier abgewickelt.

Das hat mehrere Gründe, aber einen entscheidenden: die relative Ferne zu Peking nämlich, also zum Mittelpunkt des chinesischen Universums, zum einstigen Kaiserthron und zu den späteren Chefsesseln der Kommunisten. Ihnen allen war Kanton von jeher ein wenig suspekt. Denn zur Ferne von der Machtzentrale gesellte sich auch stets eine gefühlte Nähe zum Rest der Welt. Das alte Kanton kochte sich schließlich nicht bloß in kulinarischer Hinsicht ein eigenes Süppchen. Es galt bereits in der Ming-Dynastie als weltoffene Multikulti-City, über die vor allem arabische und indische Händler Waren und Neuigkeiten nach China importierten.

Doch der Austausch verlief auch in die Gegenrichtung. Egal ob New York, London oder Amsterdam: Es waren vor allem Kantonesen, die in aller Welt Restaurants eröffneten - und die so das kulinarische Bild Chinas im Ausland prägten. Das heißt: Sie prägten es zwar, aber es ist nicht unbedingt vollständig.

Chinesischer als Chinesen ums Eck

Um einige Facetten chinesischer als im "Kanton-Restaurant" bei uns ums Eck kommt einem das Original nämlich vor. "Jedes Tier, dessen Rücken zur Sonne zeigt, ist essbar", heißt es in Kanton. Und das ist mehr als bloß ein lokales Sprichwort. Es bedeutet mitunter auch Überwindung für viele Kulinarik-Weicheier aus dem Westen. Und dennoch: Allzu wörtlich nehmen muss man lokale Klassiker wie Long Hu Dou - "Der Drache kämpft gegen den Tiger" - nicht. Echte Drachen sind auch in Guangzhous zahlreichen Feinschmeckerlokalen relativ rar. Aber Respekt zeigen wird man auch vor dem Gericht selbst: Schlange-Wildkatze-Duett ist kein Allerweltsgenuss.

"Food crazy" seien sie, sagen die Einheimischen über sich selbst. Essen ist Volkssport Nummer eins geblieben, das belegt die enorme Dichte brechend voller Feinschmeckerrestaurants. Ebenso Beweis dafür ist ein typischer Kochstil, der für seine raffinierte Präsentation und authentischen Geschmäcker gerühmt wird. Nicht umsonst gelten die Gerichte aus Kanton als eine der vier großen Küchen Chinas. Beispiel Fo Tiao Qiang: Meeresschnecken, Seegurken, Fischflossen, Fischbäuche und Pasaniapilze zählen zu den achtundzwanzig Zutaten, die einen halben Tag lang in Shaoxing-Reiswein gekocht werden.

Das Resultat lobten bereits die Dichter der Qing-Dynastie. Buddha selbst würde über die Tempelmauer springen, um es zu genießen, heißt es da. Seither kennt die ganze Kulinarikwelt das Gericht als "Buddha Jumps Over the Wall". Aber zumindest in Guangzhou wachsen die Wände gerade höher und höher. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 30.8.2013)