Meine erste selbst vergorene Gurke hat all meine Erwartungen übertroffen. Salzig und leicht scharf war sie, mit zarten Dillnoten und kräftigem Gurkenaroma, fest und knackig, gab aber bei stärkerem Biss plötzlich auf wunderbare, weiche Weise nach (die konsistenzverliebten Chinesen haben ein eigenes Wort für diese Art Knackigkeit, wir nicht), dank Gärung prickelte ihr Fleisch zart im Mund. Sicher auch aus Jungfermentierer-Stolz muss ich sagen: Die Gurke war die beste, die ich je gegessen habe.

Fermentieren ist, wie bereits öfter erwähnt, eine super Sache. Es macht aus einem zur Langeweile neigenden, wässrigen Gemüse eine Köstlichkeit wie die gerade beschriebene; es lässt den Koch sich weniger ohnmächtig fühlen, wenn der Sommer in wenigen Wochen so viel mehr Gemüse auf den Markt schleudert, als es noch der motivierteste Mensch in der Zeit verspeisen kann; es erlaubt dem Esser, sich noch im Winter an dieser verschwenderischen Vielfalt zu erfreuen; und gesund bis lebensnotwendig ist es noch dazu.

Foto: tobias müller

Weil ich in China gar so begeistert war von all dem Gärgemüse, habe ich vor kurzem einen langgehegten Plan umgesetzt und zwei Gärtöpfe gekauft – samt dem aktuellen Standardwerk für den Hobby-Fermentierer, Sandor Katz' "The Art of Fermentation". Das Buch ist großartig für jeden, der mit mehr als bloß Kraut herumgären möchte: Es erklärt die Fermentation umfassend, aber einfach, und es macht Mut, weil Katz immer wieder glaubhaft argumentiert, dass hier nichts schiefgehen kann und selbst Vergorenes nie gesundheitsschädlich ist. Hilfreich, wenn man matschigen Paprika aus einer stinkenden Brühe zieht. Gierig zu gären, bin ich, sobald Töpfe und Buch da waren, auf den Markt gezogen – und habe dort, welch Timing, Einlegegurken vorgefunden. Die kommenden Tage habe ich voll Vorfreude dem Blubbern gelauscht, das bald aus dem Gärtopf gedrungen ist.

Das Prinzip hinter der Fermentation ist sehr einfach und entspricht dem, was der Amerikaner mit "If you can't beat them, join them" beschreibt: Weil der Fermentierer nicht verhindern kann, dass die Mikroorganismen sich über sein Essen hermachen, macht er sie sich zunutze. Dafür schafft er Bedingungen, unter denen bestimmte Bakterien gedeihen und sich vermehren – und andere möglichst nicht. In den allermeisten Fällen sind diese erwünschten Mitesser Milchsäurebakterien. Sie sind ideal für die Kultivierung: Auf Nahrungsmittel losgelassen, zerlegen sie deren Bestandteile auf eine Art und Weise, die sie für uns schmackhafter machen, indem sie etwa Glutamat produzieren. Sie müssen fürs Fermentieren nicht zugesetzt werden, weil sie immer und überall im Übermaß vorhanden sind, sei es auf Pflanzen, in der Luft oder auf menschlicher Haut. Und sie sind relativ anspruchslos in der Haltung, weswegen es leicht ist, große Kulturen von ihnen zu züchten.

Für den Gemüsegärer heißt das: Er muss nichts tun, außer das Gärgut in Salzwasser zu versenken – und zu warten. Sowohl Salz als auch Wasser sorgen dafür, dass viele schädliche Bakterien nicht mehr leben können – Milchsäurebakterien hingegen fühlen sich unter diesen Bedingungen erst so richtig wohl. Sie vermehren sich dann deutlich stärker als die Konkurrenz und säuern ihre Umgebung dabei ein – was das Gärgut noch einmal unbewohnbarer für unerwünschte Keime macht. So richtig kontrollieren lässt sich der Gärprozess nicht, werden erfahrene Gärer nicht müde zu versichern – immerhin handelt es sich bei den ausführenden um Abermillionen Mikroorganismen. Daher gehen Gärversuche immer wieder und aus oft unerfindlichen Gründen schief. Ein wenig steuern kann man den Vorgang aber schon – vor allem über Temperatur und Salzgehalt.

Foto: tobias müller

Je wärmer es die Bakterien haben, desto schneller arbeiten sie (und desto schneller laufen sämtliche chemischen Prozesse im Gemüse ab). Idealerweise ist es daher am Anfang der Gärung warm (so um die 22, 23 Grad), damit die Kulturen sich entwickeln, und nach ein paar Tagen kühler (16 bis 18 Grad), damit nichts überstürzt wird. Sehr schnell Vergorenes schmeckt nicht so gut wie langsam Gereiftes, und zu hohe Temperaturen sorgen dafür, dass Gärgemüse wegen bestimmter Enzyme matschig wird. Salz kann diese Prozesse verlangsamen. Es gilt daher: Je wärmer das Wetter beim Gären ist, desto salziger sollte das Gärwasser sein.

Um zu Hause zu gären, braucht es kein besonderes Werkzeug – bloß einen wasserdichten Behälter und etwas Schweres, etwa einen flachen Stein, um das Gärgut unter Wasser zu halten. Ein Deckel ist nicht unbedingt nötig, aber praktisch: Er verhindert, dass Fliegen auf der Wasseroberfläche landen oder diese mit zu viel Luft in Kontakt kommt. Luft (Sauerstoff) kann dazu führen, dass sich oben Schimmel bildet (harmlos, aber hässlich), Fliegen legen ihre Eier in den Gärbehälter (unappetitlich). Vorsicht: Vor allem zu Beginn der Gärung produzieren die Bakterien jede Menge CO2. Wenn der Deckel dicht schließt, kann der Gärbehälter explodieren. Daher: Gefäß mit einem Tuch abdichten, sehr regelmäßig lüften oder einen Gärtopf verwenden.

Ich habe meine ersten Gärexperimente jenseits von Sauerkraut mit zwei verschieden großen Gurkengläsern unternommen. Das kleinere war gerade so groß, dass es in das größere gestellt werden konnte. Das Gärgut habe ich ins große Glas gestopft, mit Salzwasser bedeckt und anschließend mit dem kleineren, zwecks Gewicht ebenfalls mit Wasser gefüllten Glas beschwert. Bei dem System kann Gas entweichen, und trotzdem ist die Gär-Wasseroberfläche ziemlich klein. Wer aber ernsthaft interessiert ist: Ein Gärtopf macht das Leben des Fermentierers deutlich leichter.

Eine Anmerkung zur Hygiene: Manche Quellen empfehlen, vor dem Einlegen Gefäße und Werkzeuge auszukochen oder andersartig zu sterilisieren. Herr Katz tut das nicht. Er meint, dass man in einer Küche sowieso nie etwas steril bekommt und dass es auch gar nicht nötig ist: Eine gute Milchsäurebakterien-Kultur setzt sich problemlos gegen Widersacher durch. Der Erfolg meiner Gurken gibt ihm recht.

Selbstgemachte Salzgurken

Gurken sind laut Sandor Katz eines der schwierigsten Gärgemüse: Weil sie im Sommer reifen, ist es meist heiß, wenn man sie fermentieren will, und weil sie fast nur aus Wasser bestehen, neigen sie noch mehr zur Matschigkeit als etwa Paprika. Der Trick: nicht zu wenig Salz, eine kurze Gärzeit und Weinblätter. Letztere enthalten Tannine, die dafür sorgen, dass sich die Zellwände der Gurken länger halten und sie daher nicht so schnell zu Gatsch zerfallen.

Ich habe hier mit einem Fünf-Liter-Gärfass und zwei Kilogramm Gurken gearbeitet. Gewürzt habe ich mit einem Bund Dill (wer hat: Dillblüten sind angeblich noch besser), einer Knoblauchknolle, in der Mitte quer durchgeschnitten, und einem roten, sehr scharfen Chili, ebenfalls aufgeschnitten. Als Gärflüssigkeit habe ich fünfprozentiges Salzwasser genommen – also 50 Gramm Salz auf jeden Liter Wasser. Katz gibt dieses Salz-Wasser-Verhältnis als Standard an für Gemüse, das am Stück vergoren wird. (Wird etwas erst klein geschnipselt und dann im eigenen Saft vergoren, wie etwa Kraut, empfiehlt er eine Salzmenge, die zwei Prozent des Gemüsegewichts entspricht – also etwa 20 Gramm Salz auf ein Kilo Kraut.)

Die Gurken waschen, etwaige vertrocknete Blütenreste entfernen und für eine halbe Stunde in kaltes Wasser oder Eiswasser legen.

Foto: tobias müller

Eine Handvoll Weinblätter in das Gärfass füllen und die Hälfte der Gurken darüber verteilen. Knoblauch, Chili, Dill und sonstige erwünschte Gewürze einfüllen.

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Den Rest der Gurken ins Fass füllen und mit einer weiteren Handvoll Weinblätter bedecken. So viel Salzwasser einfüllen, dass alles mit Wasser bedeckt ist – in meinem Fall waren das zwei Liter.

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Das Gärgut beschweren, um es unter Wasser zu halten. Gärfässer kommen zu diesem Zweck mit praktisch-passenden Steinen.

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Ein Teller oder ein Plastiksack, mit Wasser gefüllt, tut's aber auch.

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In eine Ecke stellen, in der das Fass niemanden stört, und die kommenden Tage freudig den CO2-Blasen lauschen, die immer wieder herausblubbern werden. Wie lange man die Gurken gären lässt, ist eine Frage der Temperatur und des persönlichen Geschmacks – hier gilt es, regelmäßig zu kosten.

Foto: tobias müller

Je wärmer es ist und je länger die Gurken gären, desto weicher werden sie und desto vergorener schmecken sie. Ich habe meine Gurken vier Tage im Wohnzimmer stehen gelassen, bei geschätzten 24, 25 Grad – danach haben sie bereits so grandios geschmeckt wie eingangs beschrieben. Weil ich danach verhindert war, war Freund S. so nett, vier Tage später nochmals zu kosten. Sein Urteil: sehr sauer, sehr gut, immer noch knackig.

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Wer will und kann, übersiedelt seine Gurken nach den ersten Tagen in einen kühlen Keller (16, 17 Grad) und lässt sie dort noch einige Tage weitergären.

Wenn sie den erwünschten Geschmack und Härte-(oder Weiche-)Grad erreicht haben, halten sie sich am besten in ihrer Flüssigkeit im Eiskasten: Die Temperatur dort stoppt die Gärung beinahe und sorgt dafür, dass die Gurken länger in Form bleiben. (Tobias Müller, derStandard.at, 1.9.2013)