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Burnout-Prophylaxe: Tipps und Hilfe

Foto: AP/Wenig

London - Die jüngsten Selbstmorde von zwei Top-Managern binnen weniger Wochen in der Schweiz werfen erneut ein Schlaglicht auf die Gefährlichkeit von Stress am Arbeitsplatz. Lange Arbeitszeiten, eng getaktete Termine und zeitaufwendige Auslandsreisen machen den Top-Managern schon länger das Leben schwer - und bringen die Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht. Ein Problem, das keineswegs neu ist.

Stellenkürzungen und Kündigungswellen erhöhten im Zuge der Finanzkrise den Druck nochmals. "Es war immer hart und immer einsam ganz oben im Management und mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ist es noch einsamer und noch härter geworden", sagt Managementberater David Carter.

"Auf die Balance achten"

"Es ist ungeheuer wichtig, dass Top-Manager auf die Balance achten", sagt Carter. Sein Patentrezept für Vorstände und Führungskräfte: Nehmt Euch ein Beispiel an Unternehmern wie Richard Branson (Virgin) und Bill Gates (Microsoft), die eine steile Karriere mit ihrem Privatleben in Einklang bringen. "Die fahren mit Heißluftballons, retten den Planeten und wachen über ihre Konzerne. Die haben Urlaub und Hobbys oder konzentrieren sich auf ihre Familie beziehungsweise ihre Freunde."

Doch auf angestellten Top-Manager lastet oft ein größerer Druck - beispielsweise durch die Anteilseigner - als auf Unternehmensgründern wie Gates oder Branson. Der Zwang, immer gute Miene zu machen, kann dazu führen, dass sie sich nicht vertrauensvoll an Kollegen wenden. Viele Führungskräfte nähmen oft nur widerwillig oder zu spät Hilfe an, um mit ihrer Arbeitslast klar zu kommen, sagt Unternehmensberaterin und Coach Jenny Gould von STP Consultancy in Oxford.

Am Montag fand die Polizei den Finanzchef des Versicherers Zurich Insurance Group, Pierre Wauthier, tot in seiner Wohnung und geht von Selbstmord aus. Der 53-jährige hinterlässt eine Frau und zwei Kinder. Josef Ackermann, Präsident des Schweizer Versicherungskonzerns, nahm den Suizid des Finanzchefs am Donnerstag zum Anlass für seinen Rücktritt. "Ich habe Grund zur Annahme, dass die Familie meint, ich solle meinen Teil der Verantwortung hierfür tragen, ungeachtet dessen, wie unbegründet dies objektiv betrachtet auch sein mag", erklärte Ackermann.

Burn-out-Symptomen

Ende Juli war Carsten Schloter, der Chef des Schweizer Telecom-Konzerns Swisscom, tot in seiner Wohnung gefunden worden. Der 49-jährige beging Selbstmord, zuvor hatte er in Interviews von Burn-out-Symptomen und von familiären Problemen im Zusammenhang mit seiner Scheidung vor einigen Jahren gesprochen. "Ich stelle bei mir fest, dass ich immer größere Schwierigkeiten habe, zur Ruhe zu kommen", sagte er in einem Zeitungs-Interview im Mai. Auch das Auseinanderbrechen seiner Ehe vor ein paar Jahren habe daran nichts geändert: "Ich würde Ihnen gern sagen, dass ich Lehren daraus gezogen habe. Wenn es so wäre", sagte der Betriebswirt, der im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro auf den übernommenen Internet-Anbieter Fastweb abschreiben musste. Kurz vor Schloters Selbstmord knöpfte sich das Schweizer Kartellamt Swisscom vor und nahm Ermittlungen wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung auf.

"Stress ist heimtückisch", erläutert Beraterin Gould. "Man kann damit für lange Zeit umgehen, bevor es zu einem Gefühl des Ausgebranntseins kommt." Manager wohnen oft nicht am selben Ort wie ihre Familien, von denen sie auch längere Zeit getrennt sind. Und es ist nicht ungewöhnlich, dass Führungskräfte nicht einmal im selben Land wie ihre Angehörigen arbeiten, was dann auch am Wochenende längere Reisen erfordert.

"Gefährlicher Cocktail"

Einige Top-Manager gehen Stress offen an, wie etwa der Vorstandschef der Bankgruppe Lloyd's, Antonio Horta-Osorio. Der Manager nahm 2011 eine Auszeit, um sich von Überstunden, Schlafmangel und Erschöpfung zu erholen - acht Monate, nachdem er den Top-Posten übernommen hatte. Nach zwei Monaten kehrte er an seinen Schreibtisch zurück. "Das ist ein gefährlicher Cocktail", sagt Managementberaterin Gould, "wenn man meint, dass man nicht alles kontrollieren kann und niemanden hat, um über Ärger und Gefühle zu reden."

Auch andere Top-Manager im Alter von Mitte 50 bis Anfang 60 traten zuletzt auf die Bremse und kündigten ihren Rückzug an: "aus privaten Gründen" oder um ihr "Leben zu verändern". Der Chef und Gründer des Luxusgüterherstellers Richemont, Johann Rupert, ging im Frühjahr, um sich mit Reisen und Lesen zu erholen. Peter Voser, Chef des britisch-niederländischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell, will im kommenden Jahr ausscheiden: "Nun ist es an der Zeit, meinen Lebensstil zu ändern und ich freue mich darauf, in den kommenden Jahren mehr Zeit für Familie und Privatleben zu haben", hatte Voser seinen Abschied vor seinem 55. Geburtstag begründet.

72 Stunden ohne Schlaf durchgearbeitet

Doch auch im mittleren Management und bei Nachwuchskräften rückt das Thema Stress stärker in den Blickpunkt. Die Bank of America Merrill Lynch strich in der vergangenen Woche heraus, die Arbeitsbedingungen insbesondere für junge Angestellte auf den Prüfstand stellen zu wollen. Ein 21-jähriger Praktikant aus Deutschland, Moritz Erhardt, war Mitte August tot in seiner Londoner Wohnung aufgefunden worden. Der 21-Jährige soll zum Ende seines siebenwöchigen Praktikums in der Investmentbanking-Sparte 72 Stunden ohne Schlaf durchgearbeitet haben. "Die Ausbeutung der Jugend ist nicht akzeptabel", kritisierte EU-Sozial- und Arbeitskommissar Laszlo Andor. Politiker forderten die Banken auf, für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter mehr zu tun und vor allem junge, schlecht bezahlte Praktikanten zu schützen.

Selbst wenn keine dringenden Arbeit anstünden, schreibe die Firmenkultur vor, lange im Büro zu bleiben, erläuterte ein Ex-Praktikant der Bank Merrill Lynch, der sich durch sein Engagement einen Job gesichert hat, diesen aber aus gesundheitlichen Gründen nach einem Jahr wieder kündigte: "Du brauchst ein Jahr bis 18 Monate, um zu merken, dass es das einfach nicht wert ist." Man brauche zwingend einen Ausgleich zum Job. Mittlerweile ist er als Projekt-Manager in der Modebranche tätig.

"Gesundheits- und Sicherheitsrisiko"

Die Unternehmen riskierten finanzielle Einbußen, wenn sie Überlastung am Arbeitplatz ignorierten, sagt Neil Shah von der Stress Management Society, einer Non-Profit-Organisation, die Menschen beim Umgang mit Stress hilft. "Wir müssen Stress als Gesundheits- und Sicherheitsrisiko einstufen", sagt der Experte. Für Bildschirmarbeitsplätze gebe es Gesundheitsuntersuchungen, etwa in Großbritannien und Deutschland. Bei der Risikoabschätzung von Stress sei man davon noch weit entfernt. "Das ist ein Thema, nicht nur weil sich Menschen im schlimmsten Fall umbringen", sagt Shah. "Sondern weil es Einfluss auf die Produktivität und die Effizienz hat und zu Arbeitsausfall führen kann - das sind tatsächliche Kosten für Unternehmen." (APA, Reuters, red, 30.8.2013)