Der Kern des Problems? Wolfgang Mayrhofer spricht ihn ohne Umschweife an: "Menschen sind - so wie übrigens Organisationen auch - keine trivialen Maschinen, um ein Konzept des Systemtheoretikers Heinz von Foerster zu bemühen. Triviale Maschinen sind möglicherweise kompliziert, aber sie sind nicht komplex. Das bedeutet, gleicher Input führt verlässlich zu einem vorhersehbaren Output."
Soll heißen, so der Vorstand der Interdisziplinären Abteilung für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien: Die Küchenmaschine produziert geraffelte Karotten, wenn die in der vorgesehenen Weise zugeführt werden. Verlässlich, immer wieder. Niemals aber ist das Endergebnis plötzlich eine Sachertorte. Bei Menschen, sagt Mayrhofer, "ist aber genau das bildlich gesprochen möglich. Als nichttriviale Maschinen sind sie komplex, Input und Output stehen also in einer von außen nicht vollständig - und ich würde sogar sagen: nur zu einem geringen Teil - vorhersehbaren Beziehung zueinander."
Auf das praktische Führungsgeschehen bezogen, sagt Mayrhofer, "können wir so tun, als ob wir verstünden - und tun das ja auch permanent -, wir sind damit ja auch nicht völlig unerfolgreich und machen uns einen Reim, aber trotzdem bleiben wir letztlich im Dunkeln." Das erklärt für ihn so manches Verwunderliche im Führungsgeschehen: Der Chef bittet eine Mitarbeiterin freundlich um die Erledigung einer Aufgabe, und es passiert nichts oder genau das Gewünschte oder das Gegenteil. Alles sei grundsätzlich möglich, da Menschen - glücklicherweise - (auch) eigensinnig seien und autonom und unabhängig Sinn produzierten. Und damit werde Menschenführung zu einem nicht nur schwierigen, sondern auch wagemutigen Unterfangen.
Umsetzung
Deshalb also könnten sich Führende nicht auf die zuverlässige Umsetzung ihrer Vorgaben und Wünsche verlassen. Sicher, personelle und strukturelle Macht wie Charisma, Strukturen und Routinen machten Verhalten erwartbarer - vollständig berechenbar werde es deshalb aber nicht. Unter dem Strich sei also festzuhalten, erklärt Mayrhofer: "Die Geführten sind nichttriviale Maschinen, die Führenden ebenso - das potenziert die Komplexität. Wenn dann noch eine turbulente Umwelt dazu kommt, die von den nichttrivialen Maschinen in wenig durchschaubarer Weise erfunden, selektiv wahrgenommen, kategorisiert und verarbeitet wird, dann brauchen wir uns weniger über scheiterndes als mehr über gelingendes Führungshandeln wundern."
So weit das Grundsätzliche, das das Führungsgeschehen vorformt. Doch welche Einflussgrößen bestimmen es darüber hinaus? Mayrhofer zufolge gibt der Forschungsbefund diesbezüglich recht eindeutige Hinweise: Auf der personellen Ebene spielt das erwünschte Führungsverhalten, spielen die sogenannten Führungsideale eine besondere Rolle. Er verweist auf eine breit angelegte Studie unter der Federführung von Professor Robert J. House, University of Pennsylvania. Bei aller nationalen Unterschiedlichkeit werden darin acht positive Führungsideale offengelegt: Integrität, Inspiration, Leistungsorientierung, Vision, Teamintegration, Entschlossenheit, administrative Kompetenz und Diplomatie. Negativ gesehen werden Böswilligkeit, Autokratie, Selbstzentriertheit und vermeidendes 'Gesichtswahren'.
Mayrhofer: "Vereinfacht gesagt lassen sich diese Faktoren auf zwei Grunddimensionen zurückführen: Aufgabenorientierung, also die Fokussierung auf die zu erledigenden Problemstellungen, und Mitarbeiterorientierung, also die Konzentration auf die Geführten und ihre Bedürfnisse." Dazu kämen auf der kontextuellen Ebene Faktoren wie die Klarheit der zu erledigenden Aufgabe, deren Komplexität, das Verhältnis zwischen Führungsperson und Geführten, die formale Autorität, mit der die Führungsperson ausgestattet ist, oder die Frage nach der erforderlichen Akzeptanz des Führungsergebnisses durch die Geführten.
Tendenziell größter Problempunkt im Führungshandeln, weil am heikelsten in den Auswirkungen, ist Mayrhofer zufolge Macht und deren Einsatz: "Ohne Macht keine Führung - aber Macht und deren Einsatz lässt niemanden kalt. Macht ist nicht eine Ressource wie jede andere, sondern ist auch emotional stark besetzt." Mayrhofer führt psychologische Erkenntnisse an. Sie besagen: Das Streben nach Macht ist neben Leistung und sozialer Zugehörigkeit eine menschliche Basismotivation. Dabei gilt es, zwei Ausprägungen von Macht zu unterscheiden: ein sozialisiertes Machtstreben, das Macht im Rahmen von Führungshandeln zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und eines größeren Ganzen einsetzt. Und ein auf die eigenen persönlichen Ziele abstellendes Machtstreben, das primär oder ausschließlich den eigenen Vorteil - auch auf Kosten anderer und des gemeinsamen Ganzen - im Blick hat. Mayrhofer: "Merken Menschen, dass nicht sozialisierte, sondern die egoistische Machtausübung im Vordergrund steht, dann wird es ganz heikel, und zwar auf allen Ebenen."
Führung in ihren Kontexten
Auch die Umwelt, in der sich Führung abspielt, wirkt sich auf das Führungsgeschehen aus. Und so müssen auch die Betriebsgröße und die regionale betriebliche Einbettung als Einflussgrößen auf das Führungsgeschehen in Betracht gezogen werden. Im Blick auf die Betriebsgröße gelte es, zwei Dinge zu unterscheiden, sagt Mayrhofer: die Gruppen- und Organisationsgröße. Bei der Gruppengröße sei es zentral, dass die 'span of control' nicht zu groß werde, also für wie viele Personen ein Vorgesetzter Führungsverantwortung habe. Acht bis zwölf seien hier eine oft genannte Zahl. Die Organisationsgröße wirke sich zwar nicht direkt auf das Führungshandeln in der Gruppe aus, sei aber sehr wohl ein Indikator für eine Reihe von anderen auf das Führungsgeschehen einwirkenden Dingen: Wie sehr ist das organisationale Geschehen formal geregelt, beispielsweise über Führungsrichtlinien? Wie transparent ist das Führungshandeln in der gesamten Organisation? Naheliegend, dass das bei einem Kleinbetrieb von 15 Leuten ganz anders durchsichtig ist als bei einer großen Organisation. Mayrhofer: "Es sind also diese indirekten Effekte, die hier eine Rolle spielen."
Was nun die regionale Einbettung des Betriebs betrifft, so seien Stadt und Land ja nur Kürzel für meist vermutete dahinterliegende Dinge. Also etwa: Welche Werteorientierung haben die Menschen? Wie viele Jobalternativen haben sie in einem zumutbaren räumlichen Radius? Wie stark ist der soziale Zusammenhalt und damit auch die Kommunikation über unterschiedliche Formen von Führung? Welche Art von Industrie oder sonstiger Beschäftigung ist verfügbar? Über solche und ähnliche Faktoren wirkten Stadt und Land auf das Führungsgeschehen ein. Führe ein Vorgesetzter also beispielsweise eine Gruppe von wertkonservativen Menschen mit einem traditionellen Familienbild und starker sozialer Einbettung in den lokalen Kontext, dann werden sie oder er etwa auf andere Anreizstrukturen und Voraussetzungen bauen können und müssen als bei hochmobilen, an postmodernen Werten orientierten Menschen. (Hartmut Volk, Leadership STANDARD, 31.8.2013)