Tannheim, Tirol: 1.045 Einwohner. Eine idyllische Talgemeinde 70 Kilometer nordwestlich von Innsbruck, kurz vor der Grenze zu Deutschland. 758 Bürger waren bei der Nationalratswahl vor fünf Jahren wahlberechtigt, 46,44 Prozent gingen hin. Bundesweiter Tiefpunkt.

Moschendorf, Burgenland: 416 Einwohner. Weingemeinde 100 Kilometer östlich von Graz, kurz vor der Grenze zu Ungarn. 360 Bürger waren vor fünf Jahren wahlberechtigt, 91,94 Prozent gingen hin. Österreichs Spitzenreiter.

Zwischen Moschendorf und Tannheim liegen 450 Kilometer und eine Wahlbeteiligungs-Welt. Die zwei Gemeinden sind ein erstes Indiz für eine bundesweite Diagnose: Im Westen geben relativ gesehen weniger Wahlberechtigte ihre Stimme ab als im Osten Österreichs. Eine Analyse der Nationalratsergebnisse seit 1986 von derStandard.at hat das Phänomen erneut bestätigt. Wie sich die Wahlbeteiligung in Ihrer Gemeinde entwickelt hat, sehen Sie in dieser interaktiven Grafik:

Diese Karte zeigt, wie viele Wahlberechtigte persönlich in das jeweilige Wahllokal der Gemeinde gingen. Briefwähler und Wahlkarten sind auf Gemeindeebene nicht enthalten, weil sie nur auf Bezirks- und Regionalwahlkreisebene zugeordnet werden. Die übergeordneten Bezirke enthalten Briefwählerstimmen, aber keine Wahlkarten. Je dunkler die Region, desto höher die Quote der Nichtwähler.

Für Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist die niedrige Wahlbeteiligung in Westösterreich auf drei Faktoren zurückzuführen: mangelnde Mobilisierung der Parteien, weniger Medienwettbewerb und emotionale Distanz zur Bundeshauptstadt.

Die Parteien konzentrieren sich im Wahlkampf auf die bevölkerungsreichsten Regionen. Besonders umkämpft sind jene Gebiete, wo die Vergabe der Grundmandate unklar ist. Der Großteil dieser Regionen liegt im Osten.

Im Gegensatz zu den Nationalratswahlen sind Nichtwähler bei Landtags- und Gemeinderatswahlen eher im Fokus der Parteien. Dann ist ihr Anteil größer, mehr Stimmen sind zu holen, weil die Nationalratswahl den höchsten Stellenwert genießt und deshalb die Motivation auch am höchsten ist. Beispielsweise gingen bei den Landtagswahlen in Tirol vier von zehn, in Salzburg drei von zehn Bürgern nicht wählen. Bei der Wien-Wahl 2010 ging jeder Dritte nicht zur Wahl. Den niedrigsten Stellenwert haben Europawahlen. Bei den vergangenen drei Urnengängen blieben bundesweit jeweils mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zuhause (2009: 54 Prozent, 2004: 57,6 Prozent, 1999: 50,6 Prozent). Die Mobilisierungsschwerpunkte der Parteien varrieren je nach Wahl - das hat umittelbaren Einfluss auf die Wahlbeteiligung.

Intensivere Wahlberichterstattung, höhere Beteiligung

Dazu kommt zweitens der Medienwettbewerb, der in Ostösterreich größer ist als im Westen. Die intensivere Wahlberichterstattung führt laut Filzmaier zu höherer Wahlbeteiligung. "Hier baut sich eine stärkere Dramaturgie auf", sagt Filzmaier.

Drittens steigt mit jedem Kilometer gen Westen die emotionale Distanz zur Bundeshauptstadt. Ein IMAS-Report verdeutlicht: Die klassischen Nichtwähler-Motive sind überdurschnittlich stark ausgeprägt - und werden von Tannheim über Dornbirn bis Sölden mit Wahlenthaltung quittiert. Mit Abstand am deutlichsten herrscht in Vorarlberg, Tirol und Salzburg das Protestmotiv vor. Jeder Zweite verweigert ob der etablierten Parteienlandschaft die Stimmabgabe im Gegensatz zu jedem Dritten bundesweit. Nach diesem Nichtwähler-Motiv reihen sich "Meine Stimme hat sowieso keinen Einfluss“ und "Ich halte zwar schon etwas von der Politik, aber derzeit finde ich keine passende Partei“ ein. "Das Gefühl der Machtlosigkeit ist sehr dominant“, analysiert IMAS-Studienleiter Paul Eislsberger.

Politologe Peter Filzmaier schätzt, dass von jenen 21,2 Prozent, die der Nationalratswahl 2008 fern blieben, die Hälfte nicht wieder an die Wahlurne zurückkehrt. Absolut gesehen wären das bundesweit 671.000 Menschen. Im Langzeitvergleich ist die Zahl der Nichtwähler in Österreich seit der flächendeckenden Abschaffung der Wahlpflicht gestiegen.

Im internationalen Vergleich ist Österreichs Wahlbeteiligung hoch. Bei Parlamentswahlen in Portugal (58 Prozent) oder Polen (49 Prozent) wäre ein Tannheim nicht die Ausnahme, sondern die Regel. (Gerald Gartner, derStandard.at, 16.09.2013)