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Menschen mit Behinderungen forderten Anfang Mai bei einer Demonstration in Berlin die "schnelle und vollständige Umsetzung der Konvention" - das fordern auch Behindertenvertreter in Österreich.

Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Wenn ein Wahlberechtigter nicht wählen kann, weil der Wahlzettel für ihn unlesbar ist, wenn eine Schülerin nicht ins Gymnasium gehen kann, obwohl sie sich dafür eignen würde, so sind das keine Einzelschicksale: Das zeigt sich auch dieser Tage in Genf, wenn sich Österreich Kritik gefallen lassen muss, was die Umsetzung der Behindertenrechte-Konvention der UNO betrifft.

Menschen mit Behinderungen würden in Österreich "nicht als gleichberechtigt, sondern als arme Almosenempfänger" betrachtet, so die Kritik, die in Genf immer wieder laut wurde. Und Österreich habe die Gräueltaten, die während der NS-Zeit auch an Menschen mit Behinderungen begangen wurden, nicht ausreichend aufgearbeitet.

"Nicht zeitgemäß"

Dass Menschen mit Behinderungen von einer Gleichberechtigung noch weit entfernt sind, zeige sich auch in der beliebten ORF-Sendung "Licht ins Dunkel", kritisierten die UNO-Prüfer. Jahr für Jahr würden hier "Bilder gezeigt, die schon in den 1960er-Jahren hätten überwunden werden müssen", zitiert Marianne Schulze, Vorsitzende des österreichischen Monitoringausschusses, den UN-Prüfer Stig Langvad. Der Däne habe "dringend empfohlen, dass es zeitgemäße Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt", so Schulze. "Derzeit werde ich als Mensch mit Behinderungen so dargestellt, als wäre ich Spendenempfänger - und nicht ein Mensch, der beispielsweise gleichberechtigt mit Armin Wolf eine TV-Moderation übernehmen könnte."

Dazu hieß es seitens des ORF auf derStandard.at-Anfrage, der Vorwurf "geht ins Leere": Man habe diese Kritik bereits vor 20 Jahren gehört und entsprechend darauf reagiert, so Christine Kaiser von der ORF-Abteilung Humanitarian Broadcasting. Menschen mit Behinderungen als bloße Spendenempfänger darzustellen sei "etwas, was der ORF seit Jahren nicht mehr tut".

Barrieren bleiben

Mit Skepsis blickten die UN-Prüfer auch auf die Umsetzung der Barrierefreiheit in Österreich. Derzeit können Betroffene, die wegen einer Barriere beispielsweise einen Amtsweg nicht erledigen können, ihr Recht nicht einklagen. Einerseits gibt es zahlreiche Ausnahmebestimmungen, wenn ein Umbau beispielsweise für den Anbieter "unzumutbar" wäre. Andererseits erhalten Betroffene selbst dann, wenn ihnen ein Gericht recht gibt, nur Schadenersatz - das Gebäude können sie jedoch weiterhin nicht betreten. Die Folge: Klagen beispielsweise 20 Rollstuhlfahrer den örtlichen Bäcker, weil sie dessen Geschäftslokal nicht betreten können, muss der Bäcker theoretisch 20-mal Schadenersatz zahlen - die erforderliche Rampe muss er aber weiterhin nicht errichten.

Das ist allerdings ein eher realitätsfernes Beispiel: De facto haben Unternehmer keine finanziellen Einbußen infolge des Klagsrisikos zu befürchten, weil es schlicht an Klägerinnen und Klägern mangelt. In der Stadt weicht man auf andere Anbieter aus, bevor man den Schritt vor Gericht wagt. Auf dem Land gibt es wiederum zu wenige Betroffene, die auf die mangelnde Barrierefreieheit hinweisen würden.

Dazu kommt, dass es Betroffenen in Österreich besonders schwer fällt, sich über ihre Rechte zu informieren: 50 verschiedene Gesetze normieren allein die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Was Barrierefreiheit genau bedeutet, ist in neun unterschiedlichen Ländergesetzen normiert, die jeweils in gewissen Abständen novelliert werden. Das ermöglicht einzelnen Ländern, die Gleichstellung behinderter Menschen weiterhin zu blockieren - und die Bundesregierung neige dann dazu, sich "auf die Länder auszureden", meint Martin Ladstätter von der Behinderten-Interessenvertretung Bizeps, der ebenfalls Mitglied des Monitoringausschusses ist und derzeit in Genf die Fragen der UN-Prüfer mitverfolgt. "Mit dem Verweis auf den Föderalismus wird man in Genf nicht durchkommen", glaubt Ladstätter - schließlich habe Österreich im Jahr 2008 garantiert, die Konvention im gesamten Staatsgebiet umzusetzen.

Zu viele Menschen in Heimen

Auch die hohe Anzahl an Menschen mit Behinderungen, die in Heimen untergebracht sind, sieht das UN-Prüfkomitee mit Skepsis. Einige gab es auch zum umstrittenen Sachwalter-Regime: Die Konvention verlangt, dass behinderte Menschen in ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden, wenn sie beispielsweise einen Amtsweg erledigen oder eine medizinische Therapie auswählen müssen. In Österreich verlieren die Betroffenen im Zuge der Besachwaltung jegliche Selbstbestimmung. "Ein klarer Widerspruch zur Konvention", meint Ladstätter. Auch Volksanwalt Günther Kräuter, der in Genf eine Stellungnahme abgab, kritisierte das Sachwalter-System scharf: Allein im vergangenen Jahr seien bei der Volksanwaltschaft mehr als hundert Beschwerden über die Sachwalterschaft eingelangt.

Am 13. September werden die UN-Prüfer ihre Handlungsempfehlungen für Österreich formulieren. Skeptikern, die diese To-do-Liste als zahnlos bezeichnen, hält Ladstätter, der auch Mitglied des österreichischen Menschenrechtsbeirats ist, das Selbstbild der Bundesregierung entgegen: "Man versucht ja, grundsätzlich als Staat dazustehen, der Konventionen einhält."

Die Ergebnisse der Staatenprüfung werden in einer öffentlichen Sitzung des Monitoringausschusses Anfang November in Wien diskutiert. (Maria Sterkl, derStandard.at, 3.9.2013)