Gerd Heyer, Personalvertreter im deutschen Arbeitsministerium, verhandelte die Dienstvereinbarung zum Mitarbeiterschutz: "Wichtig ist zu kommunizieren, dass niemand einen Nachteil haben darf, wenn er sagt, dass er jetzt Freizeit hat."

Foto: Privat

Bild nicht mehr verfügbar.

"Abschalten" ist ein Thema, das Arbeitsministerin Ursula von der Leyen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor noch stärker verankern möchte.

Foto: Reuters/Bensch

Niemand ist außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, sein Handy oder das Internet für die Arbeit zu nutzen. Das ist die Quintessenz einer Dienstvereinbarung, die das deutsche Arbeitsministerium in Berlin für seine mehr als 1.000 Mitarbeiter abgeschlossen hat. Im Interview mit derStandard.at erklärt Gerd Heyer, zweiter Personalratsvorsitzender im Ministerium, wie die Regelung unter Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) funktionieren soll.

derStandard.at: War das Thema psychische Belastungen so akut, dass es eine eigene Vereinbarung braucht?

Heyer: Zum Hintergrund: Wir haben im Ministerium verschiedene Formen der Telearbeit oder mobilen Arbeitens. Etwa die Hälfte unserer Beschäftigten kann von unterwegs oder zu Hause auf den "Firmenrechner" zugreifen. Zum Beispiel auf E-Mails. Gut ein Viertel der mehr als 1.000 Mitarbeiter kann auf Dateien zugreifen. Somit kann eine Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit schwierig sein, wenn man nicht gerade am Büroarbeitsplatz ist. Vor der Vereinbarung gab es schon die Möglichkeit der Telearbeit, etwa wenn man Kinder beaufsichtigen oder jemanden pflegen muss. Vor diesem Hintergrund war es wichtig, Regelungen zu treffen. Wir haben auch psychische Belastungen bei Beschäftigten, klar, aber relativ selten.

derStandard.at: Im Endeffekt profitieren also rund 250 Mitarbeiter, die auf Dateien zugreifen können?

Heyer: Ja, das ist in etwa die Größenordnung.

derStandard.at: Das heißt, in Ihrem Ministerium leiden nicht überproportional viele an Burnout oder klagen über psychische Belastungen aufgrund permanenter Erreichbarkeit?

Heyer: In erster Linie stellt die Vereinbarung eine Präventionsmaßnahme dar. Wir haben sicher den einen oder anderen, der gefährdet sein könnte. Aber wir wollen einfach allgemein darauf achten, dass die Regelarbeitszeit nicht dauerhaft überschritten wird. Bei Beamten sind das 41 Stunden, bei Tarifbeschäftigten 39 Stunden pro Woche, wenn sie in Vollzeit arbeiten

derStandard.at: Das Credo lautet "Niemand darf benachteiligt werden, weil er sein Handy abschaltet". Das heißt, Mitarbeiter gehen nach Hause und drehen das Diensthandy ab?

Heyer: Die meisten Beschäftigten haben kein Diensthandy. Nur ausgewählte Führungskräfte und jene Personen, die häufiger unterwegs sind und auf eigenen Antrag ein Diensthandy wollten.

derStandard.at: Und die anderen müssen via Privatnummer nicht erreichbar sein?

Heyer: Wenn man Feierabend hat, soll man Feierabend machen. Nur in Ausnahmefällen sollte Erreichbarkeit gegeben sein. Im Idealfall weiß man das vorher und schaut dann aufs Handy.

derStandard.at: In der Dienstvereinbarung steht, dass Erreichbarkeit nur in "begründeten Ausnahmefällen" erforderlich ist. Was fällt in diese Kategorie?

Heyer: Ein Beispiel wäre ein Vermittlungssauschussverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat. Normalerweise gibt es einen Zeitplan, der Anwesenheit regelt. Es könnte aber sein, dass ein neuer Vorschlag eingebracht wird, der kurzfristig bewertet werden muss, damit sich das Ministerium positionieren kann. Und man braucht dann dazu die Expertise von ausgewiesenen Fachleuten. Oder wenn das Ministerium sich sehr kurzfristig gegenüber den Medien erklären muss.

derStandard.at: Im Idealfall wissen das Mitarbeiter schon vorher, um sich vorbereiten zu können, oder?

Heyer: Ja, wenn es geht, sollte das schon während der Arbeitszeit kommuniziert werden. Oder wenn Koalitionsarbeitsgruppen erst um 20 Uhr zu arbeiten beginnen, kommt man einfach erst später. Aber das ist dann feste Arbeitszeit, die vorher vereinbart wurde.

derStandard.at: Wenn wirklich etwas akut wird, könnte aber der Fall eintreten, dass gewisse Leute unerreichbar sind, weil sie nicht zur Verfügung stehen müssen.

Heyer: Das könnte so sein, aber in der Regel gehen wir davon aus, dass die Führungskräfte und Abteilungsleitungen so sensibilisiert sind, dass sie schauen, ob später jemand gebraucht wird oder nicht.

derStandard.at: Sollte etwas akut werden, gibt es laut der Dienstvereinbarung eine bestimmte Vorgehensweise. Etwa, dass auf die familiäre Situation der Mitarbeiter Rücksicht genommen werden muss und so wenige Mitarbeiter wie möglich involviert werden sollen.

Heyer: Die Chefs der Arbeitseinheiten wissen normalerweise, wer in welchen sozialen Verhältnissen lebt. Das führt dazu, dass eher jene Personen angerufen werden, die zum Beispiel keine kleinen Kinder haben.

derStandard.at: Vorgesetze sollten über die privaten Verhältnisse ihrer Mitarbeiter Bescheid wissen?

Heyer: In der Regel weiß man das. Die normale Arbeitseinheit ist bei uns das Referat mit durchschnittlich zehn Mitarbeitern. Wir versuchen, Beruf und Familie zu vereinbaren, da ist es ganz natürlich, dass man davon Kenntnis hat.

derStandard.at: Eine weitere Richtlinie ist, dass es keine Mails, sondern Telefongespräche geben soll. Warum?

Heyer: Der ideale Weg ist, beides zu machen, aber im Telefongespräch sollte man abklären, was zu tun ist und um welchen zeitlichen Umfang es sich handelt. Das geht einfach schneller. Wie gesagt sind das aber wirklich Ausnahmesituationen, die nicht häufig auftreten und normal nur jene Personen betreffen, die an aktuell besonders wichtigen Vorhaben oder dicht an der politischen Leitung arbeiten.

derStandard.at: Ein übergeordnetes Ziel ist es, Beschäftigte vor Selbstausbeutung zu schützen.

Heyer: Ja, es ist der Versuch, präventiv tätig zu werden und die Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass sie auf sich schauen sollten. Wichtig ist zu kommunizieren, dass niemand einen Nachteil haben darf, wenn er sagt, dass er jetzt Freizeit hat. Man muss den Beschäftigten klarmachen, dass sie nicht dann gute Mitarbeiter sind, wenn sie 24 Stunden pro Tag arbeiten, sondern sie sind gut, wenn sie das, was zu tun ist, möglichst in der regulären Arbeitszeit schaffen.

derStandard.at: Wenn man das Gefühl hat, als Mitarbeiter einen Nachteil zu haben, nur weil man am Abend das Handy abdreht und nicht erreichbar ist - etwa bei Beförderungen: Gibt es ein Prozedere, das Beschwerden vorsieht?

Heyer: Eine mögliche Benachteiligung ist schwer festzumachen. Es gibt bei uns keine Bezahlung, die sich nach kurzfristig erbrachter Leistung richtet. Leistungsprämien gibt es nur auf der Grundlage eines Jahres. Beurteilungen decken einen noch längeren Zeitraum ab. Wenn jemand das Gefühl hat, dass er benachteiligt wird, dann gibt es das Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräch, in dem das gezielt thematisiert werden kann. Natürlich haben Beschäftigte auch jederzeit die Möglichkeit, sich an den Personalrat oder an Vorgesetzte zu wenden. Beschwerden beim Personalrat sind mir nicht bekannt

derStandard.at: Wenn Mehrstunden anfallen, auch aufgrund von Erreichbarkeit, werden die abgegolten?

Heyer: Entgelt gibt es keines, Überstunden werden durch Freizeit ausgeglichen. Wir haben eine Regelung, dass man sich bis zu 15 Arbeitstage pro Jahr freinehmen kann, um Mehrstunden abzubauen, wenn es zu Arbeitsschwankungen kommt. Von den Führungskräften wird erwartet, dass sie ein paar Stunden mehr als die Regelarbeitszeit arbeiten, und gelegentlich auch, dass sie auf eine Ausschöpfung des Zeitausgleichs verzichten. Dafür werden sie besser bezahlt.

derStandard.at: Kann die Initiative ein Vorbild für andere Ministerien sein, oder war das ein Alleingang?

Heyer: Es war ein Alleingang, aber seit ein paar Tagen gibt es vermehrt Nachfragen, wie wir die Umsetzung bewerkstelligt haben.

derStandard.at: Andere Ministerien könnten also nachziehen?

Heyer: Das könnte sein, allerdings ist so eine Dienstvereinbarung immer das Resultat der Verhandlungen von der Leitung des Hauses und dem Personalrat. Beide Seiten müssen sich auf ein Ergebnis verständigen.

derStandard.at: War es ein wichtiges Anliegen, die Dienstvereinbarung noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden?

Heyer: Ja, das war es, und dem Personalrat und unserer Ministerin war es ein Anliegen, einige Punkte noch einmal zu schärfen, um einen möglichst umfassenden Schutz vor psychischen Belastungen zu haben.

derStandard.at: Als Rückenwind vor der Bundestagswahl?

Heyer: Nein, das war schon länger in Arbeit und hat mit der Wahl nichts zu tun. Die Dienstvereinbarung gibt es seit Mai, begonnen haben die Verhandlungen vor eineinhalb Jahren.

derStandard.at: Und die Dienstvereinbarung wird auch nach der Wahl in Kraft bleiben?

Heyer: Natürlich. Unsere Dienstvereinbarungen sind zeitlich unbefristet und gelten weiter.

derStandard.at: Stand eine noch weitreichendere Regelung zur Debatte, wie sie etwa VW vorexerziert, wo nach Dienstschluss keine Mails mehr an mobile Geräte weitergeleitet werden?

Heyer: Das Motto "Wir schalten ab" war eine Vorstellung des Personalrats. Das hätte allerdings auch große Konflikte mit unseren Beschäftigten bedeutet. Wenn man Telearbeit macht, kann man bis 21.45 Uhr arbeiten. Alleine für diese Arbeitenden, die dafür zum Beispiel am Nachmittag pausieren, weil sie etwa ihre Kinder betreuen müssen, hätten wir die Arbeitsbedingungen massiv erschwert. Es hätte viele Ausnahmeregelungen gebraucht, und wir wollen, dass diese Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit möglichst flexibel und eigenverantwortlich gestalten. Zweitens müssen wir gewährleisten, dass bestimmte Personen bei besonderen politischen Bedingungen weiterarbeiten können - und zwar ohne ins Büro fahren zu müssen. (Oliver Mark, derStandard.at, 4.9.2013)