Verbieten oder anerkennen? Lange Zeit war es in Österreich ruhig um das Thema Sexarbeit. Seit sich die rot-grüne Stadtregierung in Wien zu einem neuen Prostitutionsgesetz aufgeschwungen hat, gibt es jedoch wieder Diskussionsbedarf. Parallel dazu wird in Deutschland, wo Sex gegen Geld seit mehr als zehn Jahren legal ist, heftig debattiert, welche Effekte eine Legalisierung auf die Sexindustrie hat.

Zur Klärung der Argumente hat dieStandard.at zwei Feministinnen getroffen, die sich konträr in dieser Sache engagieren. Die Journalistin und Filmemacherin Susanne Riegler steht mit ihrer "Initiative Stopp Sexkauf" für ein völliges Verbot von Prostitution und hat eine Online-Petition dazu gestartet. Theater- und Filmemacherin Tina Leisch will, dass Sexarbeit legal wird und im Prater wieder "Rotlicht statt Blauchlicht" herrscht. Ein feministischer Schlagabtausch:

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Susanne Riegler (li.) und Tina Leisch in der dieStandard.at-Redaktion. Foto: Günther Brandstetter

dieStandard.at: Das neue Wiener Prostitutionsgesetz wirft für die Sexarbeiterinnen einige Probleme auf. Viele Erlaubniszonen wurden gestrichen, nun droht auch im Prater das Ende der Straßenprostitution. Geht dieses Abdrängen der Prostitution von der Straße in die richtige Richtung, Frau Riegler?

Riegler: Was in Wien passiert, ist das klassische Resultat einer Politik, die zwischen "ein bisschen legal", "ein bisschen illegal" und manchmal auch "ein bisschen egal" herumwurschtelt. Was wir jetzt im Auhof erleben, wohin die Frauen abgedrängt werden, ist aus meiner Sicht untragbar. Das passiert, weil die PolitikerInnen so unentschlossen sind und keinen Mut haben, klare Entscheidungen zu treffen – kurzum, entweder die Prostitution zu legalisieren, wie es viele Sozialarbeiterinnen fordern, oder den Mut zu haben, den schwedischen Weg des Sexkauf-Verbots zu gehen. In einem Land, das die Gleichberechtigung der Geschlechter in seinen Grundgesetzen verankert hat, ist es für mich sowieso undenkbar, dass ein Mann eine Frau zur sexuellen Benützung kauft. Solange das möglich ist, gibt es de facto keine Gleichberechtigung.

Leisch: An dieser Situation sind genau solche Leute wie Sie schuld. Leute, die unter einem feministischen Deckmäntelchen dazu beitragen, Sexarbeit moralisch zu diffamieren. Ihre Wortwahl ist schon skandalös frauenverachtend, wenn Sie sagen: Sexarbeiterinnen würden ihren Körper einem Mann zur Verfügung stellen. Sexarbeiterinnen verkaufen Dienstleistungen und nicht ihren Körper. Sie befleißigen sich einer diskriminierenden Redeweise, die die Autonomie und Entscheidungsfreiheit der Frauen, die das machen, von vornherein in Abrede stellt.

dieStandard.at: Frau Leisch, Sie wollen sich aktiv für Sexarbeiterinnen im zweiten Bezirk einsetzen. Was war der Anlass dazu?

Leisch: Die Wiener Problematik hat damit zu tun, dass ein paar fanatische SexarbeitsgegnerInnen, AnwohnerInnen, aber auch Sie mit dieser Petition, Stimmung machen. Deshalb sorgt die SPÖ-Politik dafür, dass das, was man von Sexarbeit auf der Straße sieht, verschwindet. Im Endeffekt gibt es hier eine skurrile Allianz zwischen Leuten, die sich Feministinnen nennen, religiösen Gruppierungen und den Bordellbesitzern. Sie treibt die SexarbeiterInnen in die Arme der Zuhälter und Laufhausspekulanten.

Wir treten dafür ein, dass der Straßenstrich im Stuwerviertel legalisiert wird, dass vor jedem Stundenhotel Sexarbeiterinnen stehen dürfen. Am Auhof ist die Situation völlig unsicher: Er liegt direkt an der Autobahn. Es gibt auch keine Hotels dort. Man braucht jemanden, der sich die Nummer notiert, der aufpasst, der einen ein bisschen beschützt. Einen Zuhälter also.

dieStandard.at: Sie sprechen selbst die Gefahr für Frauen in der Sexarbeit an. Mit anderen Dienstleistungen ist sie dann aber nicht vergleichbar.

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Leisch: "Jeder Mensch kann selbst entscheiden, was seine Grenzen übersteigt". Foto: Günther Brandstetter

Leisch: Es kann unter guten Bedingungen eine geile Arbeit sein. Sex ist doch etwas viel Schöneres als putzen oder regalbetreuen oder am Bankschalter sitzen, oder? Ich jedenfalls würde hundertmal lieber jemandem einen runterholen, als sein verschissenes Klo zu putzen.

Aber Sexarbeit ist umso gefährlicher, je illegaler sie ist. Wäre die Wohnungsprostitution erlaubt, könnte eine Frau gemeinsam mit einer anderen in ihrer Wohnung legal ihrer Arbeit nachgehen und bei Gefahr auch die Polizei rufen, wäre das ein sicherer Beruf. Wenn es illegal ist, das zeigt auch die Situation in Schweden, nehmen die Übergriffe auf Sexarbeiterinnen zu, weil die Frauen auch nicht mehr zur Polizei gehen können. Alle, die für Sicherheit sorgen und schauen könnten, dass nur die Frauen den Job machen, die das auch wirklich wollen – also Sozialarbeiterinnen, NGOs und Polizei -, können dann kaum mehr Unterstützung anbieten. Darum geht es aber: die selbstbestimmte Sexarbeit von der Zwangsprostitution zu trennen, die es ja tatsächlich gibt.

Riegler: Prostitution gesetzlich als Dienstleistung beziehungsweise als neuen Frauenberuf zu etablieren würde allen Maßnahmen gegen die Geschlechterhierarchisierung in der Arbeitswelt zuwiderlaufen. Dass ein Sexkauf-Verbot die Prostitution gefährlicher mache, ist eine Behauptung, nicht mehr. In Deutschland etwa, wo Prostitution nicht verboten, sondern eine "normale" Erwerbsarbeit ist, klagen Polizei und Sozialarbeiterinnen über zu wenige Kontrollmöglichkeiten, da Bordelle ja nun ganz normale Gewerbebetriebe sind.

Es geht außerdem nicht nur um die körperliche Gewalt: Prostitution verlangt von der Frau körperliche Intimität bei gleichzeitiger emotioneller Distanz. Die psychischen Folgen dieser jahrelangen innerlichen Abspaltung betreffen jede Prostituierte.

dieStandard.at:Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Sie eine Allianz mit konservativen Kräften eingehen?

Riegler: Mit unserer Petition "Stopp Sexkauf" wollen wir losgelöst von dem Normalisierungsdiskurs eine Diskussion ankurbeln, die sexistische und ökonomische Machtstrukturen sowie die neoliberalen Einbettungen dieses Gewerbes in den Fokus rückt. Der Anteil jener Frauen, die selbstbestimmt und auf Augenhöhe mit dem Freier Prostitution betreiben können, ist sehr gering. Sie betreiben hier einen gefährlichen Individualisierungsdiskurs, weil Sie damit die vielen anderen über die Klinge springen lassen.

Leisch: Es muss darum gehen, Bedingungen zu schaffen, dass Frauen, die es eigentlich nicht machen wollen, Möglichkeiten bekommen, etwas anderes zu tun. Und die Frauen, die sich dafür entscheiden, es selbstbestimmt und unter guten Bedingungen und als respektablen Beruf ausüben können. Ein Grund, warum dieser Beruf als besonders belastend empfunden wird, ist sicher, dass man sehr intensiv mit Menschen zu tun hat, ähnlich wie Altenpflegerinnen oder Heimhilfen. Aber der Hauptgrund dafür ist die gesellschaftliche Ächtung, das Doppelleben. Dass man den FreundInnen und der Familie nicht sagen kann, was man tut.

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Riegler: "Unter neoliberalen Bedingungen das Konzept der Selbstbestimmung hinterfragen". Foto: Günther Brandstetter

Riegler: Zur Klarstellung: Wir ächten die Prostituierten nicht, sondern wir hinterfragen das System Prostitution, das Frauen kommerziell erniedrigt. Das Zweite ist: Der Selbstbestimmungsanspruch, den die SexarbeiterInnen-Lobby hat, kommt eigentlich aus den 1970ern. Diese Zuschreibungen als "sexfeindliche Feministinnen" auch.

Der Haken dabei ist, dass sich mittlerweile sehr viel verändert hat. Der Neoliberalismus setzt alle Menschen so unter Druck, dass sich niemand mehr irgendwie selbstbestimmen kann, und schon gar nicht die Prostituierten, die den Gesetzen des freien Marktes unterworfen sind. Die Folge ist eine totale Entgrenzung der Tätigkeit, etwa dass Prostituierte bis zu 16 Stunden nonstop Sex mit Männern machen müssen. Die Wiener Gesundheitsbeauftragten gehen davon aus, dass 90 Prozent der Prostituierten aufhören würden, wenn sie könnten ...

Leisch: ... wenn sie in einem andere Job gleich viel verdienen würden, aber diese Optionen gibt es eben nicht. Laut des Instituts für Konfliktforschung sind es übrigens viel weniger. Viele Probleme könnten gelöst werden, wenn SexarbeiterInnen mehr Rechte hätten.

dieStandard.at: Sexarbeit macht eine Diskussion über den Stellenwert von Sexualität in der Gesellschaft nötig. Soll Sexualität besser geschützt werden?

Riegler: Der Initiative "Stopp Sexkauf" geht es nicht um den Schutz der Sexualität, sondern um eine grundsätzliche Achtung von Menschen. Ein Sexkauf-Verbot soll verhindern, dass Männer Frauen dafür bezahlen, dass sie diese benützen dürfen. Frauen sind kein Konsumartikel.

dieStandard.at: Aber wo fängt das Benützen an?

Riegler: Bei der Prostitution geht es um die Integrität und die Würde eines Menschen, Sexualität ist etwas sehr Intimes. Bei der Billa-Verkäuferin wird das nicht verlangt.

In Schweden wächst inzwischen eine Generation von Buben und Mädchen heran, für die Prostitution etwas Unvorstellbares ist: dass jemand einen anderen benützt. Da ist auch die Wertschätzung der Geschlechter untereinander eine andere.

Unserer Initiative geht es darüber hinaus um die Frage: Wo macht diese alles verwerten wollende Ökonomie noch halt? Offenbar nicht an der industriellen Verwertung von Menschen, wie man an der Sexindustrie sieht.

Leisch: In einem utopischen Gesellschaftsentwurf sind Menschen nicht käuflich, da bin ich bei Ihnen. Neoliberale Verhältnisse verlangen von den Menschen dauernd, sich zu prostituieren. Die Grenze, wo jemand sagt: Das ist meine Intimität, mein Innerstes, die dürfen erwachsene Menschen aber selber setzen. Sie unterstellen, dass es für alle Menschen die Sexualität ist. Das ist aber nicht so.

Ich bin total dafür, Kampagnen zu machen, in denen wir Menschen ermuntern, nicht über diese Grenzen zu gehen: Lass dir das nicht gefallen! Verkauf nicht Dinge, die zu deiner Persönlichkeit gehören! Mach dein Business dort, wo es für dich nicht wichtig ist! Aber das entscheidet jede und jeder Erwachsene selber, wo diese Grenzen jeweils liegen. Für mich wäre es zum Beispiel Prostitution, für Geld etwas zu schreiben, was ich für falsch halte.

In Ihrer Petition schreiben Sie: Sexualität darf nur mit Sexualität getauscht werden. Das ist doch absurd: In jeder Ehe wird Sexualität gegen Unterhaltsansprüche getauscht. In fast jedem beruflichen Feld werden Sexualität, Attraktivität und Begehren gegen Karriere getauscht. Ein Tauschmittel ist Sexualität übrigens auch in nichtkapitalistischen Systemen. Sexuelle Befriedigung ist etwas, das Menschen untereinander in Zirkulation bringt.

dieStandard.at: Wir sprechen hier als Nichtbetroffene. Wie gehen Sie als Aktivistinnen in diesem Bereich mit der Stellvertreter-Kritik um?

Riegler: Die ist mir natürlich bekannt. Aber für eine Gruppe solidarisch einzutreten, die man selbst nicht repräsentiert, gehört zur politischen Arbeit an sich. Wenn uns diese Form der Gesellschaftskritik abgesprochen wird, dann wird die Diskussion unpolitisch und flach. Und: Welche "Betroffenen" sind wirklich repräsentativ, wo doch gerade in der Prostitution die Szene extrem heterogen ist?

Leisch: Es mangelt an Betroffenen-Positionen. Das Problem ist: Aktive Sexarbeiterinnen in der Öffentlichkeit bekommen meist massive Probleme. Sei es mit der Polizei und den Behörden, sei es mit ihrem eigenen Umfeld, das plötzlich weiß, was sie beruflich machen, und damit nicht klarkommt. Deshalb fände ich eine Entskandalisierung gerade so wichtig. Und die findet ja auch statt.

Ob Sie es wollen oder nicht: Es findet eine Umwertung, eine Normalisierung von Sexarbeit bei den jungen Leuten statt. In der Berufsberatung sagen heute 16-jährige Mädchen, sie wollen Sexarbeiterinnen werden.

dieStandard.at: Das sagen die jungen Männer aber sicher nicht. Diese Normalisierung formiert sich wenn, dann nicht entlang einer gleichberechtigten Gesellschaft.

Leisch: Das hat mit der Homophobie zu tun, weil Sexarbeiter ja noch mehrheitlich schwule Männer bedienen.

Riegler: Sie haben sich offenbar noch nie gefragt, warum die Prostitution so vergeschlechtlicht ist. Warum es kaum Männer machen, wo es doch so "normal" ist.

Leisch: Das wird nicht so bleiben. Bei den Liebesbeziehungen sehen wir jetzt schon Veränderungen: Immer häufiger haben erfolgreiche, reife Frauen Liebesbeziehungen mit jungen Männern. Das ist ein Effekt der Emanzipation. Wenn es normal ist, dass in einem Bordell Frauen und Männer arbeiten, die an die Kunden und Kundinnen Sex verkaufen, wird auch die Ausbeutung in dem Bereich abnehmen.

Riegler: Das ist keine Gleichberechtigung, wenn sich eine reiche Frau einen jungen Mann kaufen kann. (Ina Freudenschuß/Beate Hausbichler, dieStandard.at, 5.9.2013)