Was Hänschen kann, kann der ältere Hans immer noch lernen: Senioren, die mit dem Spiel "NeuroRacer" Multitasking-Fähigkeiten trainierten, steigerten auch andere kognitive Leistungen.

Foto: Gazzaley Lab

San Francisco - Das Altern der grauen Zellen galt der Hirnforschung lange als unumkehrbare Verfallsgeschichte. Man könne nur in der Jugend neue Hirnzellen bilden, dachte man, und mit zunehmenden Jahren würden sie weniger werden. Außerdem würde das Hirn an Plastizität verlieren.

Seit etwas mehr als zehn Jahren denkt man etwas anders darüber. Es stimme zwar, dass unsere Gehirnfunktionen in vielen Bereichen abnehmen, sagt der US-Neurowissenschafter Adam Gazzaley von der Universität von Kalifornien in San Francisco. Doch etliche Studien - etwa an Londoner Taxifahrern - hätten gezeigt, wie sehr Lernvorgänge im Erwachsenenalter Strukturen im Gehirn positiv verändern können.


Bedienungsanleitung für NeuroRacer (Quelle: YouTube)

Womöglich von den Taxifahrern inspiriert, entwickelte Gazzaley ein Spiel namens NeuroRacer, um ähnliche Effekte zu erreichen. Das 3-D-Spiel besteht im Wesentlichen darin, dass Spieler ein Fahrzeug durch die Gegend steuern. Doch es weist einige Besonderheiten auf. So trainieren die Spieler ihre Multitasking-Fähigkeiten, indem sie angewiesen werden, auf bestimmte Signale zu achten, die während des Fahrens auftauchen, andere aber zu ignorieren.

Zudem wird NeuroRacer immer schwieriger, je besser man es beherrscht. "Es funktioniert also im Grunde wie ein guter Lehrer, der die Anforderungen an die Schüler nach oben schraubt, je mehr diese gelernt hatten", sagt Gazzaley, der auch eine Firma gründete, die gerade eine nächste Generation des Spiels entwickelt.

Für ihre neue Studie ließ das Forscherteam um Gazzaley zunächst Erwachsene unterschiedlichen Alters NeuroRacer spielen. Das Resultat fiel erwartungsgemäß aus: Die Testpersonen schnitten umso schlechter ab, je älter sie waren. Doch das war nur der erste Teil der heute im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlichten Untersuchung.

Training in Multitasking

Das eigentliche Experiment bestand darin, 60- bis 85-jährige Probanden entweder eine Multitasking-Version von NeuroRacer spielen zu lassen, eine einfache Version des Spiels oder kein Spiel. Die Probanden saßen dabei vier Wochen lang insgesamt zwölfmal für eine Stunde mit einem Joystick vor dem Bildschirm.

Danach wurden sie Tests unterzogen, die erstaunliche Ergebnisse brachten: Die Spieler der Multitasking-Version beherrschten das Spiel am Ende der Testphase besser als untrainierte 20-Jährige, und ihre Fähigkeiten hielten für sechs Monate an. Doch damit nicht genug: NeuroRacer verbesserte zudem das gleichzeitige Bewältigen mehrerer Aufgaben. Außerdem nahmen das Kurzzeitgedächtnis und die Aufmerksamkeitsspanne signifikant zu, obwohl diese nicht unmittelbar gefordert worden waren.

Gazzaley und seine Kollegen liefern in der Studie auch eine mögliche Erklärung für diese Hirntrainingserfolge nach: Messungen der Hirnaktivität mittels EEG zeigten, dass bei den älteren "Gamern" die sogenannten Thetawellen im präfrontalen Kortex sowie die Kohärenz dieser niederfrequenten Wellen in vorderen und hinteren Hirnregionen zunahmen und den Thetawellen junger Erwachsener ähnelten.

Genau dieses neuronale Netzwerk an Thetawellen gilt wiederum als Indikator für "kognitive Kontrolle", was verständlich mache, warum sich das Gedächtnis verbesserte. Da mangelnde "kognitive Kontrolle" aber auch bei Depression, Demenz oder ADHS eine Rolle spiele, könnte das Spiel womöglich nicht nur zur "Verjüngung" der grauen Zellen eingesetzt werden, hoffen die Forscher. Eines habe NeuroRacer aber jetzt schon gezeigt: dass man mit dem Spiel bestimmte geistige Defizite im Alter ermitteln, erklären und sogar beheben könne. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 5.9.2013)