Vor den Parlamentswahlen am kommenden Montag stehen in Norwegen die Zeichen auf Wechsel. Die rot-rot-grüne Koalition, die seit 2005 regiert, hat in den letzten Tagen zwar leicht aufgeholt - noch sei alles möglich, verkündet Premier Jens Stoltenberg zumal mit Blick auf jene 700.000, die laut jüngsten Umfragen noch wankelmütig sind -, nach wie vor liegt seine Mannschaft aber weit hinter dem bürgerlichen Lager zurück.
Dabei kann das Bündnis aus sozialdemokratischer Arbeiterpartei, Linken und Zentrum trotz jüngster Warnungen über einen Konjunkturrückgang eine beneidenswerte Bilanz vorweisen - mit hohen Überschüssen in den Staatsfinanzen und einer Arbeitslosenquote von nur 3,5 Prozent. Der Wert des staatlichen Fonds, dem das Gros der Einnahmen aus der Ölförderung zufließt und der künftige Pensionen sichern soll, hat sich in Stoltenbergs achtjähriger Amtszeit mehr als verdreifacht und lag Ende Juni bei 544 Milliarden Euro.
Unzufriedenheit
Die dennoch offenkundige Unzufriedenheit der Wähler hat zu weiten Teilen just mit den Ölmilliarden zu tun. Die Übereinkunft zwischen allen etablierten Parteien mit Ausnahme der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, wonach jährlich maximal vier Prozent aus dem Fonds in den Staatshaushalt fließen dürfen, gilt seit den 1990er-Jahren als pädagogische Herausforderung für Regierungen jeder Couleur. Die Frage, warum im reichen Norwegen Straßen verfallen, Schulen ohne dringend benötigtes Personal bleiben und Patienten lange auf Operationen warten müssen, richtet sich diesmal an Stoltenberg.
Der Premier machte auf dem Kongress seiner Partei im Frühjahr unter den Landsleuten zudem eine gewisse Langeweile aus: Häufig bekomme er von Wählern zu hören, dass es "spannend wäre, mal etwas Neues zu probieren".
Mit einem einschneidenden Kurswechsel rechnen Beobachter bei einem bürgerlichen Sieg allerdings nicht. Sie plane keine "krassen Veränderungen", sagte Konservativenchefin Erna Solberg jüngst der schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter". Die Oppositionsführerin, die Norwegen als Wissensstandort stärken und unabhängiger vom Öl machen will, argumentiert für mehr Privatinitiativen in Gesundheitswesen und Schule.
Gerade mit Blick auf das Nachbarland scheint ihr aber Vorsicht angezeigt. Das, was Bildungsministerin Kristin Halvorsen von den Linkssozialisten "schwedische Zustände" nennt - die Schule als Markt, auf dem Schulkonzerne mit Steuergeldern Gewinne machen, während die Leistungen stetig sinken - werde es in Norwegen nicht geben, versichert die Konservative.
Chance für Rechtspopulisten
An einer neuen Regierung unter Solberg würde aller Voraussicht nach erstmals die rechtspopulistische Fortschrittspartei beteiligt sein. Die vergleichsweise restriktive Ausländerpolitik, die Rot-Rot-Grün insbesondere in der zweiten Amtszeit betrieben hat und infolge deren die Zahl der Asylbewerber stark gesunken ist - von hohen 17.000 im Jahr 2009 auf jeweils rund 10.000 in den Folgejahren - geht der Partei unter Siv Jensen nicht weit genug. Sie will Asylbewerberheime statt in Norwegen in Afrika errichten, den Zuzug von Ehepartnern drastisch drosseln und Vierjährige ohne hinreichende Norwegisch-Kenntnisse auf Kosten der Eltern in den Kindergarten zwingen.
Solberg nennt diese jüngsten Vorschläge der Rechtspopulisten "unangemessen", Christdemokraten und Zentrum sehen sie als Hindernis für ihre Beteiligung an einer von Solberg favorisierten Viererkoalition.
Die Grünen, die sich keinem der zwei großen Lager zuordnen und vor allem die Pläne für Ölbohrungen in sensiblen Gebieten wie auf den Lofoten thematisiert haben, sehen diesmal Chancen auf den erstmaligen Einzug ins Parlament. Teils nahe der Vier-Prozent-Hürde balancieren mit Linkssozialisten und Zentrum hingegen die zwei derzeitigen kleinen Regierungspartner. (Anne Rentzsch, DER STANDARD, 6.9.2013)