Standard: Wer sind Sie?
Schalko: Wer ich bin? Ich weiß nicht, das ändert sich ständig, bei jedem Menschen. Wir haben keinen eingefrorenen Charakter, mit dem wir auf die Welt kommen und sterben. Wir sind in einer ständigen Bewegung, ich bin heute früh wer anderer als morgen.
Standard: Wer sind Sie jetzt?
Schalko: Weiß ich nicht, es ist erst halb elf, ein bissl früh.
Standard: Ich frage nur, weil Sie jüngst sagten, es gelte im Leben, zu werden, wer man ist.
Schalko: Ja, es geht darum, authentisch zu leben, ein Bei-Sich-Sein-Gefühl zu entwickeln. Das Selbst lässt sich nicht in Charaktereigenschaften beschreiben.
Standard: Sie sagten auch, Sie seien ein Suchender, und Warten sei nicht die schlechteste Form des Suchens. Was suchen Sie? Oder warten Sie noch?
Schalko: Ich warte. Die Dinge finden einen, wenn man an der richtigen Stelle wartet. Das ist wie beim Angeln.
Standard: Angeln Sie?
Schalko: Ich bin zu müde zum Angeln. Das ist etwas für aufgewecktere Menschen, damit sie müde werden. Und noch zum Suchen: Die meisten Menschen suchen, ohne zu wissen wonach, oder sie suchen nach diffusen Begrifflichkeiten wie Glück.
Standard: Glück halten Sie aber für überschätzt. Warum?
Schalko: Weil Intensität im Leben mehr wert ist als ein einlullender Glückszustand. Es hat ja wohl auch einen Grund, dass das Leben abseits von Glück viel zu erfahren bietet. Es geht darum, sich lebendig zu fühlen – und dieses Lebendigsein können wir auch in größten Katastrophen noch als Glück begreifen. Ich finde diese Ratgeberliteratur mit ihrer Wie-werde-ich-glücklich- und Wie-erreiche-ich alle-meine-Pläne-Rezeptur entsetzlich. Dem gehen viele Leute auf den Leim, und die sind dann erst recht unglücklich. Da passt Woody Allens Satz: "Ich habe zwar alles erreicht in meinem Leben, aber trotzdem habe ich das Gefühl, man hätte mich über den Tisch gezogen."
Standard: Wo stehen Sie?
Schalko:Ich hab noch nicht alles erreicht, fühle mich aber trotzdem über den Tisch gezogen. Manchmal bin ich zufrieden, meistens nicht. Unzufriedenheit ist aber auch die stärkste Antriebsfeder, Kunst herstellen zu wollen. Kunst ist auch ein Fluchtmoment, etwas, wo man hingeht, weil es das im Leben nicht gibt. Sie ist eine angenehme Art, das Leben zu ignorieren. Zufriedene Menschen machen keine Kunst; oder wenn, dann diese Handwerkskunst, die als Aquarelle in Kaffeehäusern hängt. Kunst ist das nicht.
Standard: Für Sie ist es das nicht.
Schalko: Nicht einmal für Joseph Beuys wäre das Kunst gewesen.
Standard: Ihrem jüngsten Roman haben Sie den Phantasietitel "Knoi" gegeben. Tatsächlich gibt es aber in Washington einen Radiosender von Indianern, der so heißt.
Schalko: Heute weiß ich das auch. Man kann nicht einmal ein Wort erfinden, das es noch nicht gibt.
Standard: In "Knoi" geht es um Liebesunfähigkeit von Menschen...
Schalko: ... und um ihre dunklen und helleren Sehnsüchte. In erster Linie geht es aber um die musikalische, poetische Sprache, aus der sich die Geschichte herausschält. Der Leser soll das Gefühl haben, eine Affäre mit dem Text zu haben.
Standard: Tatsächlich. Haben Sie eine Affäre mit ihm?
Schalko: Während des Schreibens hatte ich eine Affäre mit dem Text. Danach schließt man das ab. Man soll ja Bücher vormittags fertigschreiben, damit man am Nachmittag das nächste beginnen kann.
Standard: Und: Haben Sie?
Schalko: Ich habe mit einem Serien-Drehbuch begonnen.
Standard: Kann man Drehbuch- mit Roman-Schreiben vergleichen?
Schalko: Es ist ein Unterschied, wie bei Tennis und Squash, auch das sieht nur ähnlich aus. Drehbücher schreibt man für andere, wie eine Gebrauchsanweisung für einen Dreh. Sie werden erst Literatur, wenn sie filmisch umgesetzt sind. Bei Prosa ist man auf sich selbst zurückgeworfen, sie kommt mit sich selbst aus. Mir geht es da um die Beleuchtung von Dingen aus einer poetischen Perspektive.
Standard: Warum schreiben Sie keine Gedichte mehr, so wie 1995 in "Bluterguss und Herzinfarkt"?
Schalko: Mir sind jetzt die großen Erzählbögen wichtiger. Zur Lyrik werde ich im Alter zurückkehren, wenn ich dann zu müde bin für lange Geschichten.
Standard: Sie sind ja jetzt schon immer müde.
Schalko: Stimmt auch wieder. Ich habe eine chronische körperliche Müdigkeit seit meiner Kindheit, aber psychisch bin ich noch fit, derweilen.
Standard: Ist das "Weiße Album" der Beatles deswegen eines Ihrer Lieblingsalben? Da ist ja auch ihr Song "I'm so tired" drauf.
Schalko: Ja, vielleicht mag ich es deshalb so. Ich höre die Beatles jetzt übrigens wieder oft, weil meine achtjährige Tochter sie so mag.
Standard: Sie selbst fühlen sich "besessen" vom Schreiben. Ist das schön oder schrecklich?
Schalko: Ich quäle mich schon ab in meiner Akribie. Aber an sich ist es etwas Schönes, eine zweite Welt im Leben. Für mich ist Schreiben eine Lebensform, es verändert auch die eigene Wahrnehmung. Ich würde mich nie davon trennen, auch dann weiterschreiben, wenn meine Texte nicht mehr veröffentlicht würden.
Standard: Schreiben als Selbstzweck?
Schalko: Nein, natürlich soll Kunst auch unterhalten im Sinne von: die Leute beschäftigen. Dafür ist Kunst da, sie ist die wirkungsvollste Entbanalisierung von Leben. Auch ein Haneke-Film oder ein Jelinek-Stück ist Unterhaltung.
Standard: Sie haben einst auch H. C. Artmann gekannt?
Schalko: Flüchtig. Er war extrem vielseitig, sprach vierzehn Sprachen, und für ihn war jeder Winkel seines Lebens mit Literatur ausgeleuchtet. Er war durchsetzt von Literatur, einer der wichtigsten deutschsprachigen Literaten. Es ist sehr schade, dass er heute nicht mehr viel gelesen wird.
Standard: Was täten Sie, wenn Sie nicht schrieben?
Schalko: Ich habe keine Ahnung, das kann ich mir nicht vorstellen.
Standard: Als Kind, erzählen Sie, wollten Sie Pfarrer werden. Oder war das kokett?
Schalko: Das stimmt so und war gar nicht kokett gemeint. Das war aber vor der Sexualität. Ich wollte immer einen Beruf, in dem ich mich mit dem Leben beschäftigen und auch Zeit alleine verbringen kann. Ich bin zwar nicht Pfarrer, aber das alles habe ich jetzt.
Standard: Seit der "Sendung ohne Namen" und "Willkommen Österreich" im ORF gelten Sie vielen als "Meister der Satire". Sehen Sie sich auch so?
Schalko: Nein. Viel von dem, was ich mache, ist keine Satire. Satire hat mit Verspottung zu tun, meine Texte und Filme verspotten, verlachen, denunzieren aber nicht. Sie setzen sich empathisch mit den Protagonisten auseinander. Nicht alles, was lustige Elemente beinhaltet, ist Satire. Nicht alles, was humoristische Elemente beinhaltet, ist Satire. Die ORF-Sendungen „Die 4 da" und „Dorfers Donnerstalk", bei denen ich Regie führte, die waren Satire. Da ging's ums Verlachen, Aufzeigen, Aufklären und Reflektieren vonEreignissen. Bei guter Satire muss man halt ständig achten, dass sie nicht von oben herab geschieht. Lese ich Karl Kraus, spüre ich bei all seiner Genialität eine gewisse Überheblichkeit.
Standard: Ist die nicht dem Faktum geschuldet, dass Kraus zu gescheit fürs Leben war?
Schalko: Zu gescheit, um zu leben. Mich brächte Satire nicht weiter. Es interessiert mich nicht, den Scheinwerfer auf Karl-Heinz Grasser zu richten und zu sagen: Schaut, das ist der Böse. Ich will verstehen, was in ihm vorgeht, was für ein Mensch er ist, wie er das Leben begreift.
Standard: Haben Sie eine Idee?
Schalko: Diese völlige Bedenkenlosigkeit gegenüber dem Leben und anderen Menschen ist interessant. Diese stumpfsinnige Art des Egoismus: Da dreht sich alles um eine komplexe Firmenkonstruktion und um Korruptionsvorwürfe. Einen Großteil seines Lebens hat sich Grasser nur damit beschäftigt.
Standard: Ego-Management, könnte man das nennen.
Schalko: Oder Management einer ständigen Notlage.
Standard: Ein intelligenter Betrüger widmet sein Leben auch ausschließlich seinem Betrug.
Schalko: Ja, es gibt ja auch sehr raffinierte Betrüger, die hohe ästhetische Ansprüche an sich selbst stellen. Wie jemand, dem es nicht genügt, gut Fußball zu spielen, sondern der auch noch schön spielen will. Österreichische Betrüger sind wie der österreichische Fußball: Es ist völlig egal, wie's ausschaut. Hauptsache, am Schluss ist das Geld am Konto. Sehr raffiniert und ästhetisch ist die Korruption in Österreich nicht, sie ist sehr stumpf.
Standard: Apropos Fußball, Sie haben jetzt eine gute Fußball-Saison vor sich, als Fan von Manchester United.
Schalko: Ich habe das wunderbare Glück, dass mein österreichischer Lieblingsverein Austria und auch mein internationaler Lieblingsverein Manchester United in der Champions League sind. Es ist ein gutes Jahr für mich.
Standard: Weil wir bei KHG waren: Vor ein paar Jahren haben Sie gemeint, Sie vermissen Haltung bei Österreichs Politikern. Hat sich das gebessert?
Schalko: Nein. Eigentlich habe ich das Gefühl, sie seien Unsichtbare. Wenn nicht gerade Wahlen sind, versuchen Politiker unsichtbar zu sein, weil sie das Gefühl haben, wenn sie sichtbar werden, will sie keiner mehr. Da ist die C-Liga am Werken, nicht die A-Liga.
Standard: Für Satire bleibt bei diesen Politikern kein Platz mehr?
Schalko: Sie macht Satire zu einem wahnsinnig langweiligen Geschäft. Wer will sich schon den ganzen Tag mit Faymann oder Spindelegger auseinandersetzen?
Standard: Und Stronach?
Schalko: Ihn braucht man satirisch nicht behandeln, er behandelt sich selbst satirisch. Stronach hat keinen Respekt vor anderen; jemand, der Menschen so verachtet wie er, verachtet sich selbst. Das ist mein Gefühl.
Standard: Mit wem würden Sie Stronach, Spindelegger, Faymann in einem Film besetzen?
Schalko: Da fällt mir niemand ein. Aber es will sowieso niemand einen Film über sie machen.
Standard: Sie schreiben Romane, Drehbücher, Theaterstücke. Haben Sie nie Angst, dass Sie eines Tages leer geschrieben sind?
Schalko: Nie. Trifft einen das nicht zu früh, kann das sogar ein angenehmes Gefühl sein. Wenn man sich mit 70 ausgeschrieben fühlt, ist das sicher ganz toll. Nehmen Sie Philip Roth: Er hat jetzt mit 80 einfach aufgehört zu schreiben.
Standard: Vielleicht will er so den Nobelpreis für sich provozieren.
Schalko: Könnte stimmen. Beim Literaturnobelpreis hat man ja das Gefühl, dass die Jury durch den Preis jemanden relevant machen will und nicht, dass sie jemand Relevanten auszeichnen will. Da wird die Funktion des Preises wichtiger als der Preisträger. Wir leben auch in der Kunst in einer Besser-Als-, einer Preisgesellschaft. Es geht nur noch darum, wie viele Bücher man verkauft, wie viele Zuschauer ein Film hat – die Wertigkeit des Inhalts geht völlig verloren. Kunst ist nur noch wertvoll, wenn sie Bewerbe gewinnt oder pseudoelitäre Fraktionen bedient: Leute, die Bücher und Bilder wie Statussymbole konsumieren. Mich widert dieses Sportive in der Kunstrezeption an.
Standard: Apropos Komparativ: Ihr Motto lautet: Scheitern, scheitern, besser scheitern. Woran sind Sie bisher am besten gescheitert?
Schalko: Ich habe manchmal das Gefühl von Gelingen, aber nie das von Perfektion. Wobei die eh gefährlich ist: Perfektes und Unlebendiges sind nicht weit voneinander entfernt. Aber in Beckets Satz geht es ja um das fröhliche Scheitern – nicht um Umfallen und nicht mehr Aufstehen. Das ist wie der Satz: Es gibt keinen Gott, aber man darf trotzdem fröhlich sein. Die große Kunst im Leben besteht darin, das Faktische anzuerkennen, aber trotzdem nicht zu resignieren und fröhlich zu bleiben.
Standard: Sind Sie ein Fröhlicher?
Schalko: (denkt nach) Fröhlich, aber nicht heiter.
Standard: Was ist der Unterschied?
Schalko: Heiterkeit ist die stumpfsinnigere Form der Fröhlichkeit.
Standard: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?
Schalko: Sich in seinem persönlichen Sein nicht beherrschen zu lassen und seinen Gemütszustand nicht von den Äußerlichkeiten des Lebens abhängig zu machen. (Renate Graber, DER STANDARD; 7./8.9.2013)