Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihre Union hoffen, allein auf Grund der guten Wirtschaftslage in ihrem Land  in zwei Wochen die Wiederwahl zu schaffen. Tatsächlich ist Deutschland besser durch die Weltfinanz- und Eurokrise gekommen als die meisten anderen europäischen Staaten.

Aber es gibt immer mehr Anzeichen, dass es der deutschen Wirtschaft schlechter geht, als es die relativ guten Arbeitslosen- und Wachstumszahlen zeigen. Die massive Fokussierung auf Exporte, sagen immer mehr Ökonomen, ist nicht nur eine der Hauptursachen für die Euroschuldenkrise. Sie macht auch die Deutschen langfristig ärmer und weniger produktiv.

Warnung aus Washington

Zuletzt wurde diese These von Adam Posen, dem Chef des renommierten Peterson Institute for International Economics in Washington, in der "Financial Times" vorgebracht. "Germany is being crushed by its export obsession", schreibt Posen in einer höchst pessimistischen Analyse.

Deutschland hat in den vergangenen Jahren die Löhne gedrückt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das hat die Exporte gestärkt, aber auch die Binnennachfrage gedrückt, wodurch die deutsche Wirtschaft noch stärker von Exporten abhängig wurde. Das Resultat ist  ein massiver Leistungsbilanzüberschuss, der im ersten Halbjahr von bereits gigantischen sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 7,2 Prozent gestiegen ist. Das ist relativ und absolut weit mehr als die Exportmaschine China.

Als Konsequenz dieser Überschüsse müssen andere Länder Leistungsbilanzdefizite aufweisen; bis 2011 waren das vor allem die südlichen Eurostaaten, die sich auch dadurch hoch verschuldet haben. Seit diese wieder mehr exportieren und weniger importieren, weist die gesamte Eurozone einen großen Überschuss auf - zulasten der Schwellenländer, die jetzt diese Exporte schlucken müssen (denn irgendwohin müssen sie ja gelangen).

Zu geringe Investitionen

Nun könnte man sagen, und seit Jahren sagen das die Deutschen: Euer Problem, für uns funktioniert es. Zwar bringt der Exportboom der deutschen Wirtschaft viele Arbeitsplätze, aber aufgrund der relativ niedrigen Entlohnung wenig Wohlstand. Das kann ja nicht der Sinn einer Wirtschaftspolitik sein, dass eine hochentwickelte Industrienation billig für andere produziert und selbst auf die Früchte der Arbeit verzichtet.

Und wie Posen und andere zeigen, investieren die Deutschen zu wenig - in ihre Bildung, in die Forschung, in den Straßenbau, in die Kanalisation ihrer Kommunen, auch in den Wohnbau. Weite Teile des Landes verfallen, weil es der öffentlichen Hand an Geld fehlt.

Und dadurch wächst auch die Produktivität weniger stark als in anderen Ländern. Die Erfolge von Volkswagen und vielen Mittelstandsfirmen lassen einen diese Probleme gerne vergessen, aber viele andere Bereiche fallen zurück. Irgendwann steht Deutschland dann vor der Wahl: noch niedrigere Löhne, um konkurrenzfähig zu bleiben, oder doch endlich mehr in die eigenen Produktivitätskräfte zu investieren.

Diese Sichtweise hört man in Deutschland fast nicht. Die einzige Partei, die auf die massiven Ungleichgewichte hinweist und hier einen Kurswechsel fordert, ist die Linke, hat Wolfgang Münchau vor kurzem festgestellt. Aber in der angelsächsischen Welt, die europäische Entwicklungen oft besser einschätzen kann, wird Deutschland immer stärker als Problembär gesehen.

Auch Österreich ist betroffen

Das hat auch Folgen für Österreich, das so stark von der deutschen Wirtschaft abhängt. Natürlich ist auch hier der Druck sehr stark, die Löhne nicht stärker als die deutschen wachsen zu lassen, weil dies die Konkurrenzfähigkeit schwächt. Und wie das Fraunhofer Institut vor kurzem festgestellt hat, fällt die heimische Kfz-Industrie wegen steigender Lohnstückkosten bereits zurück.

Aber dem deutschen Weg zu folgen wäre falsch. Natürlich dürfen Löhne nicht übermäßig steigen, wie dies etwa in Südeuropa im vergangenen Jahrzehnt geschehen ist. Aber viel wichtiger als Lohndisziplin sind Investitionen in die Zukunft. Und da hat Österreich auch noch Einiges aufzuholen. (Eric Frey, derStandard.at, 8.9.2013)