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Meist wissen chronisch kranke Kinder selbst, wie sie mit ihrer Erkrankung umgehen müssen.

Foto: APA/Frank Leonhardt

Wer gesund ist, geht in die Schule. Wer krank ist, bleibt zu Hause, das weiß jedes Kind. Fast: Denn krank sein und trotzdem Tag für Tag zur Schule gehen - für chronisch kranke Kinder ist das Realität. Sie leiden an Asthma, Diabetes, einem Herzfehler oder Epilepsie, Krankheiten, die im Schulalltag oft Schwierigkeiten verursachen und die Kinder einschränken. Durch regelmäßige Arztbesuche häufen sich Fehlstunden, am Sportunterricht können sie nicht voll teilnehmen.

"Die Kinder möchten alles so machen wie die anderen, können aber nicht. Das stigmatisiert", sagt Judith Glazer, Präsidentin der Gesellschaft für Schulärzte Österreichs. Deswegen appelliert sie an die Pädagogen, chronisch kranke Schüler beispielsweise nicht grundsätzlich vom Sportunterricht auszuschließen: "Der Schularzt sollte individuell abschätzen, was das Kind tun kann und was nicht."

Kleine Adaptierungen

Nicht alle chronischen Erkrankungen führen zu Problemen im Schulalltag. Dass es aber oft zu Schwierigkeiten kommt, führt Lilly Damm in vielen Fällen auf die Lehrer zurück. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Damm mit Kindern und Jugendlichen im Bildungs-und Gesundheitsbereich und forscht nun am Institut für Umwelthygiene in der Forschungs-Einheit für Child Public Health der MedUni Wien. "Teilweise verschlechtern sich die Krankheiten der Kinder, weil die Pädagogen falsch damit umgehen", sagt Damm. Nicht aus Absicht, sondern aus Unwissen.

So braucht ein Kind, das an Diabetes mellitus erkrankt ist, vor allem Zeit, seine Erkrankung zu managen. Strenge Essensverbote während des Unterrichts sind beispielsweise für Diabetiker problematisch, ebenso wie zu wenige oder zu kurze Pausen, um den Blutzucker zu messen und gegebenenfalls Insulin zu spritzen. "Die Lehrer müssen das wissen und kleine Adaptierungen für die Diabetiker vornehmen", sagt Damm.

Angst und Ablehnung

Denn oft führt vor allem die Unwissenheit der Lehrer zu Angst und Ablehnung der chronisch erkrankten Kinder. So weiß Damm von Volksschulen, die an Diabetes erkrankte Kinder schlicht nicht aufnehmen wollen, aus Angst, das Kind könnte in der Schule einfach umkippen und die Lehrer wüssten nicht, was dann zu tun wäre.

Diese Angst kann die Wiener Volksschullehrerin Petra P. nicht nachvollziehen. Ein Schüler ihrer Klasse leidet unter Epilepsie, die Pädagogin hat nach Absprache mit dem behandelnden Arzt zugestimmt, im Notfall ein bestimmtes Medikament zu verabreichen: "Es ist eine Hilfe für das Kind."

Zum Setzen einer Insulinspritze können Lehrer freilich nicht gezwungen werden. Das sei eine Maßnahme, die einem medizinischen Laien nicht ohne weiteres abverlangt werden darf, sagt Wolfgang Stelzmüller vom Unterrichtsministerium. "Medizinischen Laien dürfen laut dem Ärztegesetz ärztliche Tätigkeiten nur dann zugemutet werden, wenn sie zuvor von einem behandelnden Arzt entsprechend unterwiesen wurden", erklärt Stelzmüller. Lehrer sind gesetzlich aber nicht verpflichtet, sich unterweisen zu lassen, und können das Setzen einer Spritze daher ablehnen.

Dabei braucht es meist gar keine große Intervention, betont Public-Health-Expertin Damm: Diabetische Kinder wüssten meist selbst, wann sie essen müssen, um einer Unterzuckerung vorzubeugen. Ein Schüler, der einen großen epileptischen Anfall erleidet, brauche meist einfach nur einen schützenden Polster unter den Kopf, spezielle Maßnahmen seien nur in wenigen Fällen notwendig.

Fast ein Drittel betroffen

"Man muss die Lehrer aufklären, sodass sie statt Angst Verständnis und Nachsicht haben", sagt Schulärztin Glazer. Die Lehrer mit Fachwissen zu bombardieren sei jedoch falsch, ergänzt Damm. Dennoch: Information ist wichtig, chronische Erkrankungen werden zu einem immer größeren Problem. Für Österreich gibt es keine spezifischen Erhebungen, rechnet man jedoch die in Deutschland durgeführte Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KIGGS) um, so leiden zwischen 15 und 20 Prozent aller Schüler in Österreich an einer chronischen Erkrankung. "Zählt man Adipositas und Allergien dazu, ist fast ein Drittel der Schüler betroffen", sagt Glazer.

Vor allem den Schulärzten komme eine wichtige Rolle als Informationsquelle und Vermittler zu, meint Glazer. Das Problem: Die Mediziner sind meist nur zu ganz bestimmten Zeiten in der Schule. Damm fordert daher ein mobiles Team, das einige wenige Schulen betreut und sowohl für Lehrer als auch für Schüler zuständig ist. Dem stimmt auch Volksschullehrerin Petra P. zu: "Unsere Ärztin ist einmal pro Woche für eineinhalb Stunden an der Schule. Für rund 200 Kinder ist das zu wenig."

Falsche Scham

Es ist jedoch nicht nur benötigtes medizinisches Wissen, das die Lehrer fordert: Auch psychologisches Gespür ist gefragt. Viele chronisch erkrankte Kinder berichten von Scham - sie genieren sich für ihre Krankheit. "Asthmatische Kinder ringen oft lieber nach Luft, als in der Klasse vor allen anderen den Inhalator aus der Tasche zu holen", erzählt Damm. Den Kindern die Erkrankung des Mitschülers zu erklären sei wichtig, sagt Lehrerin Petra P., dennoch achte sie darauf, das kranke Kind nicht zu sehr als anders als die anderen darzustellen. "Sonst fühlt es sich wie ein Außenseiter." (Sarah Dyduch, derStandard.at, 9.9.2013)