Stojan Mawrodiew: "Wir reden hier über 1,25 Millionen bulgarische Bürger, die bei Doverie versichert sind."

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Im Gespräch mit Markus Bernath in Sofia erhebt der Chef der Finanzaufsicht in Bulgarien, Stojan Mawrodiew, Vorwürfe gegen bulgarische Unternehmer, die versuchen würden, die Arbeit der Finanzaufsicht durch ihre Medien zu beeinflussen.

STANDARD: Der Verkauf des Pensionsfonds Doverie durch den Mehrheitseigentümer VIG hat in Bulgarien große Empörung ausgelöst. Milliarden von Lewa bulgarischer Pensionisten stünden nun auf dem Spiel, hat Bulgariens Präsident gewarnt. Ist seine Einschätzung richtig?

Mawrodiew: Wir sind seit zwei Monaten nur durch eine Presseaussendung auf der Webseite der VIG über diesen Verkauf unterrichtet. Wir haben bisher kein einziges ­offizielles Stück Papier erhalten. Das ist einigermaßen ungewöhnlich. Wir gehen davon aus, dass die VIG nun den Käufer, die United Capital, drängt, sich um eine Lizenz zu bewerben, sodass wir eine Untersuchung beginnen können. Es geht am Ende auch um die Reputation der VIG als seriöses internationales Unternehmen.

STANDARD: Der Käufer ist offenbar eine Postkastenfirma.

Mawrodiew: Ich habe natürlich auch die Recherchen der Medien über United Capital gelesen. Für mich als Bürger sieht der Fall nicht gut aus. Aber als Chef der Finanzaufsicht kann ich kein Urteil, gestützt auf Presseberichte, treffen. Wir werden keine Kompromisse bei der Qualität des Investors machen, wir werden uns ganz genau die Einkommensquellen von United Capital anschauen, die Legitimität ihrer Fonds, ihre Erfahrung und die tatsächliche Eigentümerstruktur. Es könnte für das gesamte Finanzsystem hier gefährlich sein, wenn wir ein Verkaufsgeschäft genehmigen, ohne zu wissen, wer wirklich der Eigentümer dieses Unternehmens ist. Wir reden hier über 1,25 Millionen bulgarische Bürger, die bei Doverie versichert sind, und über zwei Milliarden Lewa (640 Millionen Euro) an Einlagen.

STANDARD: Sie hätten keine Probleme, auch Nein zu diesem Verkauf zu sagen?

Mawrodiew: Ganz und gar nicht. Und wir werden definitiv Nein zum Verkauf dieses Pensionsfonds sagen, wenn wir auch nur ein Prozent Zweifel an dem Käufer haben.

STANDARD: Die Bulgaren haben wenig oder überhaupt kein Vertrauen in die Art und Weise, wie die Unternehmen im Land ihren Geschäften nachgehen. Wenn es um Transparenz und die Einhaltung von Recht und Gesetz in der Wirtschaft geht, vertrauen sie laut Umfragen den EU-Institutionen, nicht den bulgarischen. Liegen die Bürger da so falsch?

Mawrodiew: Wenn man Bulgariens Finanzsektor betrachtet, haben wir bereits ein sehr hohes Maß an Transparenz. Die Gesetzgebung in Bulgarien wurde in den vergangenen Jahren in diesem Bereich völlig überholt. Als Finanzaufsicht legen wir börsennotierten Unternehmen und dem Finanzsektor außerhalb der Banken einen hohen Standard auf. Die Zentralbank tut dasselbe mit den Banken im Land. Bulgariens Bankbereich steht aus diesem Grund ziemlich gut da. Wir hatten keine Pleiten während der globalen Finanzkrise. Und weil der Finanzsektor so gefestigt ist, mag es nicht ungewöhnlich sein, dass wir starke Akteure mit großen Marktanteilen haben wie etwa die UniCredit BulBank.

STANDARD: Wie erklären Sie sich dann aber das Misstrauen der Bulgaren gegenüber den Unternehmen?

Mawrodiew: Die Bulgaren haben heutzutage in wenig Dingen Vertrauen. Sie trauen schon erst einmal nicht ihren Politikern, weil sie das Gefühl haben, in den 20 Jahren des Übergangs vom Kommunismus zur Marktwirtschaft betrogen worden zu sein. Und sie trauen nicht den meisten der einflussreichen bulgarischen Unternehmer, weil diese – so glauben sie – reich wurden, indem sie sich unfairer Methoden bedienten.

STANDARD: Das ist falsch?

Mawrodiew: Das ist nicht falsch. Das war wirklich der Fall. Die Bulgaren sind von vielen der Parteien, die das Land regiert haben, getäuscht worden. Die Parteien versprachen Strukturreformen und höheren Lebensstandard, aber sie haben nichts eingelöst.

STANDARD: Ihre eigene Partei – Gerb – mit eingeschlossen?

Mawrodiew: Ich war einer der Hauptkritiker des früheren Finanzministers Simeon Djankow (2009–2013, Anm.), das ist in Bulgarien bekannt. Wir haben keine erfolgreichen strukturellen Reformen im öffentlichen Bereich geschafft – keine Reform im Gesundheitsbereich, der jetzt vor dem Kollaps steht, keine Reform des Pensionsystems, der öffentlichen Verwaltung und anderswo. Der Finanzminister war ein Nichtreformer, ein gescheiterter Minister, der nun die Rolle des unverstandenen Reformers zu spielen versucht. Er hat nur Sparpolitik betrieben. Das war der Hauptgrund, warum die frühere Regierung im Februar stürzte und auch die Chance verlor, wieder eine Mehrheit zu bekommen. Solange die Politiker nicht mit Gesetzen das Problem der Transparenz und der Konzentration in der Wirtschaft angehen, wird sich nichts ändern. Die Leute werden weiter gegen jede Regierung protestieren.

STANDARD: Welches Gewicht hat die Finanzmarktaufsicht im gegenwärtigen Klima der Proteste und des politischen Patts in Bulgarien?

Mawrodiew: Um Ihnen ein Beispiel zu geben – wir haben vergangene Woche eine Anzeige beim Generalstaatsanwalt in Sofia eingereicht gegen die früheren Minister für Finanzen und für Energie – Simeon Djankow und Traitscho Traikow – so wie gegen die Investmentfirma Bulbrokers AD, die von Iwo Prokopiew kontrolliert wird und die von der damals amtierenden Regierung als Beraterin engagiert worden war. Wir sind zu der Auffassung gelangt, dass sie Bulgariens Interessen durch ein Privatisierungsgeschäft geschadet haben.

STANDARD: Erklären Sie bitte näher.

Mawrodiew: Wir haben nach einer einjährigen Untersuchung einen Vorgang entdeckt, der nichts anderes als einen Marktmissbrauch darstellt. Unsere Experten schätzen den Verlust für den Staat auf etwa 87 Millionen Lewa (umgerechnet 44,41 Mio. Euro). Im Jahr 2011 entschloss sich die bulgarische Regierung den verbleibenden Staatsanteil von 33 Prozent in den Stromversorgungseinheiten zu verkaufen, die bereits von der EVN betrieben wurden. Durch Manipulationen, die an der Börse statfanden, erzielte die bulgarische Regierung jedoch nicht den realen Marktpreis, sondern einen niedrigeren. Der bulgarische Staatshaushalt wurde offensichtlich geschädigt. Es liegt nun am Generalstaatsanwalt zu entscheiden, ob er Vorermittlungen aufnimmt. Unsere rechtliche Schritte zielen natürlich nicht auf die EVN als Käufer. Sie handelte nur im Interesse des Unternehmens und ihrer Anteilseigner.

STANDARD: In Bulgariens Unternehmerkreisen gibt es eine große Rivalität. Wie wirken sich diese Spannungen auf die Arbeit der Finanzaufsicht aus?

Mawrodiew: Es gibt im Land Mediengruppen mit hoher Konzentration, die versuchen, sowohl die Politik als auch öffentliche Einrichtungen zu beeinflussen, darunter die Finanzmarktaufsicht. Ich habe mich jüngst öffentlich über eine dieser Gruppen geäußert – Economedia, deren Mehrheitseigentümer Iwo Prokopiew ist. Wir haben viele Rechtsstreitigkeiten gegen seine Gruppe laufen, aber nicht nur diese. Bulgarische Medien produzieren Geschichten, die unwahr sind und die versuchen, die Bürger zu manipulieren, nur aus dem Grund, weil diese Unternehmergruppen nicht glücklich sind über Entscheidungen der Finanzaufsicht. Die meisten ihrer Operationen werden eben von unserer Kommission überwacht.

Im Fall von Herrn Prokopiew ist es so, dass einige seiner Untenehmen von privaten Pensionsfonds in Bulgarien finanziert werden. Da wir verpflichtet sind, die Rechte von Bulgaren zu schützen, die ihr Geld in diese Fonds investieren, haben wir in einer Reihe von Fällen angeordnet, dass diese Pensionsfonds – Doverie und Allianz – ihr Geld zurücknehmen sollen. Wir betrachten einen Teil dieser Investitionen als nicht sicher genug für die künftigen Pensionisten und als zu risikoreich. Die Folge aber war eine Medienkampagne gegen die Finanzaufsichtskommission.

Ich halte das für eine gefährliche Entwicklung. Es sollte eine Grenze geben, eine Trennung von Geschäft und von nicht ethischen Verhalten, das darauf abzielt, öffentliche Einrichtungen zu beschädigen, indem unwahre, manipulierte Geschichten produziert werden. Ein hoher moralischer Standard ist nur die Fassade dieser Unternehmen. In Wirklichkeit geht es darum, unternehmerische Interessen zu befördern und öffentliche Einrichtungen dahingehend zu beeinflussen, ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß zu tun. (Markus Bernath, DER STANDARD, 10.9.2013)