Der Präsident der EU-Kommission hat im Europaparlament seine "Rede zur Lage der Union" gehalten. Das hat sich José Manuel Barroso von den US-Präsidenten abgeschaut, die bei wichtigen Anlässen Reden zur "Lage der Nation" halten.

Seine jüngsten Ausführungen waren inhaltlich in vielen Punkten richtig (aber zum Einschlafen langweilig vorgelesen): dass es etwa erste Anzeichen zur wirtschaftlichen Erholung gebe, aber noch gewaltige Reformanstrengungen nötig seien, weil Europa strukturelle Schwächen ausgleichen müsse, um global bestehen zu können. Eine einfache Rückkehr zu den alten Zuständen vor 2008 sei illusorisch.

Aber Barroso blieb den Bürgern das Wichtigste schuldig, was (direkt gewählte) US-Präsidenten im Schlaf beherrschen: eine Kernbotschaft für die Bürger zu formulieren. Es reicht nicht, wenn der Präsident der wichtigsten exekutiven EU-Institution eine eher technische Rede hält als Auftakt zu den anstehenden Europawahlen im Mai 2014.

Den Schlüsselsatz in diesem Zusammenhang hat Parlamentspräsident Martin Schulz formuliert, der als SP-Kandidat für die Nachfolge an der Kommissionsspitze gilt: "Der Satz, dass es zum gemeinsamen Europa keine Alternative gibt, ist falsch. Europa ist reversibel", hielt er fest. Das Projekt könnte scheitern. Und dagegen müsse man mit aller Kraft kämpfen, es gebe starke nationale Kräfte, die die Integration aushebeln wollen. Stimmt. Darum geht's. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 12.9.2013)