Wien - Über 200 Denkmäler erinnern alleine in Wien im öffentlichen Raum an das Jahr 1683 und den Sieg des vereinten Entsatzheeres nach der "Türkenbelagerung". Auch für politische Instrumentalisierung werden die Ereignisse bis heute immer wieder herangezogen.

Am Donnerstag, und damit pünktlich zum 330. Jahrestag der Schlacht am Kahlenberg, werden Ergebnisse eines Projekts zur Erinnerung der "Türkenbalagerung" und zwei Publikationen zum Thema an der ÖAW vorgestellt. "Kaum ein Ereignis wurde in Österreich so sehr, so oft und so lange erinnert wie die Türkenbelagerung. Wir haben uns gefragt, warum?", erklärte Johannes Feichtinger vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Wichtige politische Erzählung

Die Antwort auf diese Frage zieht sich durch die Jahrhunderte: Schon ab dem errungenen Sieg über das Osmanische Reich 1683 sei die "Türkenbelagerung" gezielt von unterschiedlichen politischen oder geistlichen Gruppierungen genutzt und instrumentalisiert worden, um Politik zu machen - bis in die Gegenwart. "Die Türken sind nach ihrer Niederlage schnell und über lange Zeit in den Hintergrund getreten, die Türkenbelagerung selbst ist aber ganz wichtig geblieben", schilderte Johann Heiss vom Institut für Sozialanthropologie der ÖAW. Denn mit dem konstruierten und mythologisierten Feindbild der "Türken" und ihrer Bezwingung ließ sich leicht innerer Zusammenhalt kreieren.

Durch diese Instrumentalisierung blieb die Erinnerung sehr präsent und das sei durchaus im Sinne der politischen Akteure gewesen, meinen die Projektpartner. Aufgrund der Plastizität des Feindbildes habe man es an neue politische Situationen anpassen und immer wieder aktualisieren können. So wurde die "Türkenbelagerung" im Laufe der Jahrhunderte sowohl für antisemitische Positionen, aber auch gegen Slawen oder vermeintliche andere Bedrohungen wie etwa den Bolschewismus missbraucht. "Die Belagerung ist bis heute politisch einsatzfähig, da braucht man nur an den Wiener Gemeinderatswahlkampf oder den vergangenen EU-Wahlkampf denken", so Kulturwissenschafter Feichtinger.

Abgrenzung durch Religion

Dass sich gerade die Türken und nicht etwa die Schweden, Preußen oder Franzosen - alles ebenfalls erbitterte Gegner der Habsburger - als Feindbild gehalten haben, führen die Wissenschafter auch auf die einfache Abgrenzungsmöglichkeit zurück: "Vor allem durch ihre Religion waren die Türken leicht als 'Andere' zu begreifen und dem Volk zu vermitteln. Damit verknüpfte man dann Vorstellungen von Barbarei und dem unzivilisierten Morgenland", erklärte Heiss. Zunächst lag daher das offizielle "Türkengedächtnis" auch noch in den Händen der Kirche; Diese veranstaltete zu den Jubiläen der Belagerung regelmäßig Prozessionen, aber auch Dankeshochämter und andere Feierlichkeiten.

Schablone für Bedrohung

Erst 1783 versuchte Joseph II. mit dieser kirchlichen Tradition zu brechen, ab diesem Zeitpunkt wurde das Gedenken ein politisches. "Gab es eine echte oder vermeintliche oder auch nur konstruierte Bedrohung, erinnerte man sich gerne an den Sieg über die Türken und beschwor so nicht nur Einigkeit, sondern auch die Hoffnung auf einen erneuten Sieg", schilderte Feichtinger. Die "Türken der Zeit" wechselten je nach politischer Ansicht und Jahrhundert. "Sie waren eine Schablone", so Feichtinger. Unter anderem warb 1883 ein katholischer Priester für Spenden für den Bau seiner Kirche, indem er Parallelen zwischen der historischen Bedrohung durch die Türken und einer zeitgenössischen durch die Juden zog.

Rege Gedenkkultur

Immer wieder war das Datum aber mit symbolischen Handlungen und Akten verknüpft, am 12. September 1883 wurde etwa der Schlussstein des Wiener Rathauses gelegt, ab dem 19. Jahrhundert wurden in ganz Wien Denkmäler errichtet - über 200 Einträge zählt die Projekthomepage insgesamt, darunter etwa das große Liebenberg-Denkmal gegenüber der Universität Wien oder die Capistrankanzel an der Außenseite des Stephansdoms, erbaut im Jahr 1783. "So wurde das kollektive Gedächtnis genährt", schließen die beiden Wissenschafter daraus. Begriffe wie "christliches Abendland", "Erbfeind" oder "Bollwerk" erfüllen auch im 21. Jahrhundert ihre Funktion. Zusammen mit den Mythen und der Legendenbildung etwa um den "Polenkönig" Jan Sobieski oder die Entstehung des Kipferls und der stetigen Erinnerung in den jeweiligen Medien der Zeit, konstruierte man so ein Feindbild und "füllt die Box auch heute noch mit Werkzeugen, mit denen die Politiker dann hantieren." (APA, 12.9.2013)