Warnhinweise in Produktbeschreibungen sind für Unternehmen schon aus Versicherungsgründen nicht mehr wegzudenken. Doch der Trend zur Bevormundung des Kunden lässt nach Zeiten sehnen, in denen der Hausverstand die einzige Gebrauchsanweisung war.

Foto: Nintendo

Haben Sie sich schon jemals in ein fremdes Auto gesetzt und gefragt, "wie fahre ich jetzt"? Oder wie war es, als Sie das erste Mal im Bad Ihrer neuen Freundin standen - haben Sie es geschafft, sich selbst zu duschen? Oder wie viele Gebrauchsanweisungen mussten Sie in Ihrem Leben lesen, um ein tausendteiliges Puzzle zu lösen oder mit Nadel und Faden einen Knopf anzunähen?

Nun, der Mensch ist zu noch weit komplexeren Tätigkeiten im Stande. Viele Dinge müssen wir lernen, doch für viele Problemstellungen reicht bereits der innere Erforschungsdrang, um die Gehirnzellen bis zur Lösung anzustrengen. Der Mensch ist ein immerzu lernender, schlussfolgender Problemlöser - ein wahres Wunder der Natur.

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Doch in den Augen der massenmarktgerechten Videospielindustrie ist jeder Mensch ein Schaf. Genauer: Ein DAU. Ein Stück Holz mit Augen am oberen Ende und zwei geschickten Greifwerkzeugen weiter unten. So kommt es einem zumindest vor, wenn man ein modernes Videospiel zum ersten Mal startet und jedes Mal aufs Neue lesen muss, wie man mit Nachvorneschieben des linken Sticks sein Alter Ego nach vorne bewegt und mit Links-Rechts-Bewegungen des rechten Sticks nach links oder rechts blickt. Diese so genannten Tutorials für Mr. und Mrs. Obvious sind nicht nur zeitraubend, sie erinnern einen auch zu Beginn jedes Spiels daran, dass die folgende, extrem kostspielige und mit enormer menschlicher Aufopferung realisierte Reise in die Parallelwelt nur Schall und Rauch ist - ein Produkt, das für die maximale Reichweite weichgespült wurde. Stellen Sie sich nur vor, Ihre erste Liebe hätte Ihnen vor jedem Tête à Tête jeden Handgriff aufs Neue erklärt - ein todsicherer Stimmungskiller. Am Ende werden Stimmungskiller und Tutorials wie alles Nervige doch nur ignoriert.

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Natürlich haben manche Hersteller im Laufe der Zeit wirklich elegante Lösungen gefunden, wie man Lästiges mit dem Angenehmen verbindet. Doch gleichzeitig konnte man in den vergangenen Jahren ob der "Casualisierung" des Marktes einen Trend zur Bevormundung beobachten. Motion-Games oder Party-Games sind solche Extremfälle, die einem am Anfang jedes Spiels vor die Nase halten, dass man doch bitte die Lasche des Controllers über das Handgelenk streifen soll, denn sonst könnte die Fernbedienung im Fernseher oder im Fenster landen. Mag sein, dass das alles schon einmal vorgekommen ist und dafür eine Versicherung geradestehen musste. Doch muss es denn so penetrant durchgezogen werden?

Und das ist bloß die Oberfläche der unternehmenspolitischen Idiotie, dem Kunden das Leben erklären zu müssen. Mein persönlicher Tiefpunkt sind die watscheneinfachen und an sich wahnsinnig unterhaltsamen Mini-Games von "Nintendo Land". Alle fünf Minuten eine Erinnerung an die geistige Begrenztheit. Und das ausgerechnet von Nintendo, das es zur Kunst auserkoren hat, die nutzerfreundlichsten Games überhaupt zu kreieren. Einmal Mario, immer Mario - das ist wie Fahrradfahren. Stellen Sie sich bloß vor, bei jedem Einschalten des Fernsehers würde sie ein Text daran erinnern, wie Sie zum nächsten Programm wechseln können. Sie würden nicht mehr Fernsehen wollen.

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Wo sind die hyperkomplexen Rollenspiele der 1990er-Jahre geblieben, die einen zehn Stunden lang im Dunkeln herumirren ließen, bis man irgendwann selbst die Taste für die Taschenlampe gefunden hat. Nun, das war gewiss auch nicht ideal, doch wenigstens hatte man beim erfolgreichen Öffnen einer Tür noch das Gefühl, etwas entdeckt zu haben. Heute wird von vornherein klargestellt, dass man es erst gar nicht probieren soll. Wenn es einen interessanten Gegenstand gibt, wird er leuchten. Türen öffnen sich von selbst.

Zugegeben: Das ist schon praktisch und erspart viel Frust. Doch manches Mal wünscht man sich bei all dieser Bevormundung zurück an einen blanken Tisch gesetzt zu werden, um selbst herauszufinden, wie man mit einem Blatt Papier einen Flieger baut. Nicht nur Bob der Baumeister weiß, dass wir das schaffen können.

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Erheiternd ist, dass sich Spieldesigner dieser Zwangsbeglückung immer öfter selbst bewusst sind. In manchen Spielen darf man Tutorials auslassen oder sie werden überhaupt nur optional angeboten. Oder wie im Fall von "Far Cry 3: Blood Dragon" wird gleich das gesamte Konzept der interaktiven Gebrauchsanweisung aufs Korn genommen. Herrlich. Es sind jene Momente, in denen man als Spieler wieder das Gefühl hat, nicht für blöd verkauft zu werden. Bitte mehr davon. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 14.9.2013)

Video: Das ehrlichste Tutorial aller Zeiten

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