Nick Jurik erklärt bei "Nobody is perfect" das Rollstuhlfahren.

Foto: derStandard.at/Julia Schilly

Rolli-Stunt ist etwas für Mutige.

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Der 19-Jährige spielt Basketball und träumt von einem speziellen Sportrollstuhl. Der kostet aber 5.000 Euro.

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Bei anderen Stationen konnten sich Besucher darin versuchen, mit einer Hand Karten zu spielen ...

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... oder einen Computer nur mit Hilfe der Augen zu steuern.

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Die 19-jährige Karin erstellt mit ihren Augen ganze Powerpoint-Präsentationen.

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Den Satz "Ich schaffe das nicht" lässt Nick Jurik nicht gelten. Noch einmal zeigt der 19-Jährige geduldig wie es funktioniert, mit dem Rollstuhl auf eine zwei Zentimeter hohe Platte zu fahren. Für Menschen, die mit dieser Art der Fortbewegung keine Erfahrung haben, ist es zunächst eine große Herausforderung, dieses kleine Hindernis zu bewältigen. "Nach hinten fallen lassen und mit den Händen dagegen stemmen", sagt Jurik. Nach einigen Versuchen verschwindet das unangenehme Gefühl, dass man umfallen könnte. "Ja, das ist nicht so einfach. Nichtbehinderte müssen ja nur den Fuß heben", sagt er und lächelt.

Gemeinsam mit anderen behinderten Jugendlichen lädt er im Rahmen der Ars Electronica in Linz unter dem Titel "Nobody is perfect" dazu ein, Einblick in das Leben mit unterschiedlichen Behinderungen zu gewinnen. Dafür sind Stationen am Freigelände neben der Donau aufgebaut. Neben dem richtigen Umgang mit dem Rollstuhl, können Waghalsige mit Helm, Handschuhen und Ellbogenschützern ausgerüstet "Rolli-Stunts" ausprobieren oder "Rolli-Ball" spielen. Bei der "One hand show" versuchen Besucher, mit einer Hand Karten zu spielen oder einfache alltägliche Tätigkeiten zu erledigen. "Die Leute sollen die Scheu ablegen und normal mit uns sprechen. Denn wir sind auch normale Menschen", erklärt Jurik eines der Ziele der Veranstaltung.

Eine 19-Jährige zeigt in der "Auge um Auge"-Station das Bedienen eines Computers mittels Sehsteuerung, auch "Eye-Tracking" genannt. Sie kann aufgrund ihrer Behinderung das Keyboard nicht mit den Händen steuern, auch das Sprechen geht langsamer. Mit Hilfe der PC-Augensteuerung kann sie jedoch zügig plaudern und arbeiten.

Für die Anpassung muss der Besucher zunächst einem wandernden Punkt am Bildschirm folgen. Danach funktioniert das Ansteuern der Tasten am Bildschirm nur mit den Augen. Verweilt man mit dem Blick länger auf einer Taste als zwei Sekunden, wird sie gedrückt. Auch hier drehen sich die Rollen schnell um: Während die 19-Jährige rasch die Frage nach der Lieblingsfarbe tippen kann, wird die Antwort zur Tortur. Ungeübte versuchen ständig mit dem Oberkörper mitzulenken. Sobald man jedoch den Abstand zum Schirm verändert, kommt die Augensteuerung durcheinander. Auch Blinzeln muss gut eingeteilt werden. Bis endlich die Antwort "gelb" am Bildschirm steht, stellt sich durch die Anspannung in den Augen eine Verspannung im Körper ein.

Die 19-Jährige berichtet, dass sie über die Augensteuerung Photoshop bedient und Powerpoint-Präsentationen zusammenstellt. Gelernt hat sie den lockeren Umgang mit der Technik im "Virtual Office". Der Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung bietet für junge Behinderte eine berufliche Förderung im Bereich neuer Techniken an. 

Menschliche und bauliche Barrieren überwinden

Bei einem Roundtable mit dem Titel "Wir sind Gipfelstürmer" berichten Behinderte, die bereits einen Job haben, von ihren Erfahrungen. Ein Vortragender ist Wolfgang Glaser, der unter anderem die Selbstbestimmt-Leben-Initiative in Oberösterreich konzipierte, zahlreiche Kongresse organisierte und seit fast zehn Jahren Mitstreiter des Aktionsbündnisses Österreich für Behindertenrechte ist.

Der Grundstein für seine Selbständigkeit wurde bereits in seiner Kindheit gelegt. In den 70er und 80er Jahren gab es noch kein Recht auf schulische Integration, behinderte Menschen wurden meistens automatisch in eine Sonderschule verwiesen. "Ich verdanke dem Durchsetzungsvermögen meiner Mutter viel", sagt er am Podium. Die Schule war nicht barrierefrei, Familie und Klassenkameraden mussten ihm assistieren. "Trotz menschlicher und baulicher Barrieren" absolvierte er schließlich die Handelsakademie in Steyr.

Glaser erzählt den Zuhörern jedoch auch offen von seinen Rückschlägen. Zunächst wollte er zum Beispiel Theologie studieren. Obwohl er die Aufnahmeprüfung bestand, bekam er eine Absage mit den Worten: "Religionslehrer haben es schon schwer genug, auch ohne Behinderung." Die Alternative war Anglistik und Publizistik. Das war auch eine pragmatische Wahl, räumt Glaser ein, da die Gebäude teilweise barrierefrei waren.

Rollstuhl im Hauptabendprogramm

Auch Nick Jurik sieht es pragmatisch. Das Virtual Office hält er für eine gute Berufsausbildung. Im Dritten Studienjahr haben die Schüler bereits erste Klienten und können Kontakte knüpfen. Doch sein Traumberuf wäre Moderator. "Aber das ist nicht einfach, das liegt vor allem an der Einstellung der Leute", sagt Jurik, klopfte auf die Reifen seines Rollstuhls, für die er sich eine Plastikscheibe mit Falco-Cover maßschneidern ließ. Er würde den Leuten gerne zeigen, dass auch ein Moderator mit Rollstuhl im Hauptabendprogramm möglich ist: "Wenn sich jemand auskennt, wieso soll er eine politische Diskussion nicht leiten können? Nur weil er ein Handicap hat?" (jus, derStandard.at, 17.9.2013)