"Mein Vater hatte auf einer Zugfahrt von Schanghai nach Korea einen Traum: Er lief durch einen Park, als er ein glänzendes Juwel fand. 'Was für ein Glückspilz ich bin', freute er sich und nahm es fest in die Hand. Kurze Zeit später wurde meine Mutter mit mir schwanger und meinem Vater wurde klar, warum er diesen Traum geträumt hatte und gab mir den Namen 'Ok-Ju' – 'Wunderschöne Perle'."
So erzählt Ok-Ju Mun in einer Biografie über ihr Leben als "Trostfrau".
Ok-Ju Mun war gerade mal 16, als sie zum ersten Mal von den japanischen Soldaten vergewaltigt wurde. Sie gehörte zu den geschätzten 200.000 Opfern der systematisch organisierten sexuellen Gewalt des japanischen Militärs während des Asien-Pazifik-Krieges von 1937 bis 1945. Die Opfer stammten unter anderem aus China, Taiwan, Malaysia, Vietnam und Indonesien, aber zum größten Teil aus Korea, dem damaligen Kolonialgebiet Japans. Mit falschen Versprechungen auf Ausbildung und Beruf waren diese von ihrer Heimat weggelockt und in den sogenannten "Troststationen" verschleppt worden, die im gesamten Asien-Pazifik-Raum vom japanischen Militär errichtet worden waren. Sie sollten "die Moral der kaiserlichen japanischen Soldaten heben", Massenvergewaltigungen in den von Japan besetzten Gebieten verhindern und Geschlechtskrankheiten bei den japanischen Soldaten eindämmen. Die jüngste unter den Opfern: elf Jahre alt.
Ausgeklügeltes System
Sie bekamen den wohlklingenden Namen "Ianfu", "Trostfrauen" - Mädchen und Frauen, die den kaiserlichen japanischen Soldaten "Trost spenden und für ihr Wohl sorgen sollten". Dies taten die Soldaten der kaiserlichen japanischen Armee, indem sie in den eigens für sie errichteten "Troststationen" die Mädchen und Frauen vergewaltigten und misshandelten. Jeden Tag. Jahre lang. Wohlorganisiert - tagsüber wurden die "Trostfrauen" den einfachen Soldaten überlassen, abends den Offizieren. Die Militärärzte waren zuständig für Kontrolle von Geschlechtskrankheiten und Zwangsabtreibungen.
Schweigen aufgrund von Scham
Der Asien-Pazifik-Krieg endete 1945 mit der japanischen Kapitulation, aber das Martyrium dieser "Trostfrauen" nahm hier noch kein Ende. Beim Militärabzug wurden sie von ihren Peinigern umgebracht oder fern von der Heimat sich allein überlassen. Auf der Odyssee nach Hause fanden viele den Tod. Für einige dauerte es Jahre, bis sie sich nach Korea zurückkämpfen konnten. Viele sahen ihre Heimat nie mehr wieder – sie fanden den Weg nicht zurück oder konnten nicht weiterziehen, weil ihnen das Geld dazu fehlte. Einige versuchten gar nicht erst, nach Hause zurückzukehren. Als Prostituierte gebrandmarkt trauten sie sich nicht zurück.
Erzogen in der konfuzianisch-patriarchalischen Gesellschaft, in der Keuschheit und Jungfräulichkeit als Idealbild standen, schämten sich die Opfer, fühlten sich "beschmutzt". Es war ihnen nicht möglich über das Erlebte zu sprechen aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und Ausgrenzung. Aufgrund des Traumas, der Verwundungen und Geschlechtskrankheiten, die sie sich als "Trostfrauen" zugezogen hatten, waren sie ihr ganzes Leben lang psychisch wie physisch gezeichnet. Nach fast 50 Jahren des Schweigens meldeten sich jedoch die ersten Zeuginnen im Jahr 1991 in Südkorea zu Wort.
Japan verweigert vollständiges Schuldeingeständnis
Nachfolgend gelangten Dokumente, die die Beteiligung des japanischen Militärs offenlegten, an die Öffentlichkeit. Die damalige japanische Regierung gab unter der Beweislast zu, dass Japan an der "Errichtung, Verwaltung und Aufsicht der Troststationen" beteiligt gewesen war.
Statt eines offiziellen vollständigen Schuldeingeständnisses wurde jedoch 1995 nur ein "Volksfond" mit staatlichen Geldern und Spendengeldern der japanischen Bevölkerung eingerichtet, ausdrücklich nicht als Entschädigung, sondern als ein Zeichen des Bedauerns, das von den koreanischen "Trostfrauen" abgelehnt wurde. Vehement forderten sie weiterhin ein offizielles Eingeständnis der japanischen Regierung zu diesem Kriegsverbrechen.
Bis ins Jahr 2013 hat sich wenig geändert. Immer noch gibt es keine offizielle Entschuldigung seitens der japanischen Regierung, bis heute ist das "Trostfrauen"-System nicht formell als Kriegsverbrechen anerkannt. Das Thema wird geschichtlich nicht aufgearbeitet, es wird in den Schulbüchern negiert und die Verantwortlichen werden nicht strafrechtlich verfolgt.
Im Gegenteil: In jüngster Zeit gibt es viel mehr die Bestrebung der japanischen Politiker um Premierminister Shinzo Abe das "Teilgeständnis" Japans zurückzunehmen und den Revisionismus der jüngsten japanischen Geschichte weiter voranzutreiben. Vor kurzem schockierte Toru Hashimoto, der Bürgermeister von Osaka, die Weltöffentlichkeit mit Aussagen, dass "das Trostfrauen-System notwendig gewesen sei" und Premierminister Shinzo Abe, dass die "Trostfrauen" sich freiwillig für die Dienste gemeldet hätten.
Letzte Zeitzeuginnen sterben
Die "Wunderschöne Perle", Ok-Ju Mun, ist im Jahre 1996 im Alter von 72 Jahren verstorben; vor ihr unzählige namenlose Frauen und Mädchen; am 12. August dieses Jahres verstarb Yong-Yeo Yi und zuletzt, einige Tage später am 24. August, Seon-Su Choi als eine der letzten registrierten "Trostfrauen", beide mit 87 Jahren - sie alle starben, ohne jemals eine Entschuldigung vom Staat Japan erfahren zu haben.
Ok-Seon Yi, auch eine der Überlebenden, ist heute 86 Jahre alt. Sie lebt im "Haus des Teilens" in Gwang-Ju, eine Autofahrtstunde von Seoul entfernt – im Grünen gelegen. Im Haus, das vom Staat und von privaten Spenden unterhalten wird, können die überlebenden "Trostfrauen" ihren Lebensabend verbringen. Ok-Seon Yi hat ihr Zimmer mit Erinnerungsfotos geschmückt. Ein junges Mädchen mit ernsten Augen schaut aus einem vergilbten Schwarzweiß-Foto heraus. Es sieht wunderschön aus. Die 86-Jährige sitzt auf ihrem Bett, den Rücken gekrümmt vom Alter, und mit blitzenden Augen in dem mit Falten übersäten Gesicht und schmächtigem Körper sagt sie voller Wut, "Wie können die sagen, dass das nicht passiert ist? Ich bin doch der lebende Beweis! Ich habe das doch erlebt!"
Mittwochsdemonstrationen: Jede Woche seit 21 Jahren
Als eine der letzten "Trostfrauen" kämpft sie unermüdlich mit anderen Überlebenden und Unterstützern um Gerechtigkeit. So demonstrieren die überlebenden "Trostfrauen" seit 21 Jahren vor der japanischen Botschaft in Seoul. Jeden Mittwoch. Bei jedem Wetter. Ohne dass sich jemals etwas hinter den Fenstern der japanischen Botschaft geregt hätte - seit 21 Jahren nicht. Die hochbetagten überlebenden "Trostfrauen" sind unermüdlich, um als Zeitzeuginnen und Frauenrechtsaktivistinnen Zeugnis abzulegen über das erlebte Kriegsverbrechen, um anhand ihres Beispiels auf die sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen in Krisenregionen aufmerksam zu machen.
Nachts jedoch werden sie selbst bis heute von den Dämonen ihrer Vergangenheit heimgesucht. Jeong-Suk Kim, Leiterin des Hauses des Teilens erzählt, dass man einige der Bewohnerinnen immer wieder nachts schreien hört. Wenn die Betreuer zu ihnen eilten, fänden sie sie in der Dunkelheit in einer Ecke ihres Zimmers kauernd und wimmernd, panisch vor Angst.
Hunderttausende Frauen mit Gesicht und Namen
Kann die lang ersehnte offizielle Entschuldigung der japanischen Regierung ihre tiefvernarbten Wunden heilen? Für die damaligen Soldaten der kaiserlichen japanischen Armee, für den Premierminister Shinzo Abe oder den Politikern der japanische Regierung mögen diese alten Frauen nur irgendeine "Trostfrau" der damaligen japanischen Soldaten gewesen sein, aber die andauernden Kämpfe der Überlebenden erinnern immer wieder daran: diese hunderttausende Mädchen und Frauen hatten und haben ein Gesicht und einen Namen, sie hatten einen Vater und eine Mutter, Brüder und Schwestern, hatten Träume und Sehnsüchte und eine Zukunft. Und sie hatten Eltern, die ihre Tochter liebten und die für sie so kostbar waren, dass sie ihr den Namen "Wunderschöne Perle" gaben.
Japan hat ihnen alles genommen. Das einzige, was die japanische Regierung ihnen noch zurückgeben könnte? Ihre Würde. In diesem Leben. Das gebietet der Anstand. (Ok-Hee Jeong, dieStandard.at, 15.9.2013)