Linz - "Ein ödes Nest! Kein Leben dahier": ein Narr, wer solches heute über Linz denkt. Klangwolken ziehen über die Stadt, elektronische Kunst und Herr Bruckner werden gefeiert, und das neue Musiktheater ist so groß wie anderswo ein ganzes Stadtviertel.
Noch größer ist allerdings die ehemalige Tabakfabrik aus den frühen 1930er-Jahren, und der Mann, der hier die eingangs zitierten Worte spricht, ist tatsächlich ein Narr - wenn natürlich nur als Bühnenfigur in Franz Schrekers einstiger Erfolgsoper Der Schatzgräber, die etwa ein Jahrzehnt vor dem Linzer Industriekomplex entstanden ist und in eine andere Zeitrichtung weist als der Großbau, welcher der sachlichen Moderne einen sanft geschwungenen Gesichtszug verleiht.
Die Musik Schrekers kann man eher mit der güldenen Ummantelung von Klimts sich küssendem Liebespaar vergleichen: Sie prunkt, sie glitzert, sie schillert in tausend Farben, füllhornartig ergießt sie sich über den Opernbesucher, umfängt und umschmeichelt ihn so virtuos wie nahtlos mit lyrischen, dramatischen und elegischen Klangstoffen. Toll, dass es Werner Steinmetz in seiner eigens für die Produktion der EntArteOpera geschaffenen Fassung für Kammerorchester gelingt, die Verführungskraft und den überbordenden Reichtum dieser Musik zu vermitteln.
Das Israel Chamber Orchestra, mit den nur doppelt besetzten hohen Streichern etwas bläserlastig unterwegs, wirkt in der mächtigen Aufführungshalle nur selten verloren; fallweise hat das Zusammenspiel des von Martin Sieghart klar geleiteten Ensembles noch tastenden Charakter, oft gelingen aber auch emotional dichte und dringliche Momente.
Regisseur Philipp Harnoncourt bespielt die dunklen, unendlichen Weiten des Quadroms geschickt: Der Großteil von Schrekers märchenhafter Geschichte um die Liebe eines Musikers und einer männermordenden Wirtstochter spielt sich auf einem großen Sandhaufen im Sichtachsenschnittpunkt der zwei rechtwinklig zueinander positionierten Publikumstribünen ab, ein bisschen was passiert zur Abwechslung auch an den Rändern der Halle.
Die Feinstaubbelastung erreicht sandbedingt Werte wie zu schlimmsten Voest-Zeiten nicht, was aber die Sänger scheinbar nicht anficht: Der lyrisch betörende Alexander Kaimbacher nimmt als Narr ein Staubbad, um auf die Schnelle zu ergrauen, und auch die Liebesnacht von Elis (als indisponiert angesagt, aber wundervoll erfrischend und deutlich: Roman Sadnik) und Els (mit dramatischer Intensität: Ingeborg Greiner) ist auf Sand gebaut (Ausstattung: Susanne Thomasberger).
Von den kleineren Partien erweisen sich Dirk Aleschus' nobler König und Karl Oblassers kauziger Kanzler als die eindrücklichsten. Begeisterung plus Bitte: endlich mehr Schreker in Wien. (Stefan Ender, DER STANDARD, 14./15.9.2013)