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Die Welt der Karrierediplomatie ist nicht die ihre: Samantha Power sah Krieg und Elend mit eigenen Augen.

Foto: Reuters / C.Allegri

Nun eröffnet sich eine Verhandlungschance, und die UN-Botschafterin wird im Mittelpunkt von Verhandlungen stehen.

Was Samantha Power im Laufe der vergangenen Woche erlebt hat, gleicht der Fahrt auf einer psychologischen Achterbahn. Es ist erst Tage her, da stellte sie im Center for American Progress, einem linksliberalen Think-Tank, die rhetorische Frage, warum sich die USA nach dem Giftgaseinsatz in Syrien militärischer Mittel bedienen sollen. "Weil wir alle anderen Mittel ausgeschöpft haben", gab sich die UN-Botschafterin selbst die Antwort.

Als Bashar al-Assad Chemiewaffen anwenden ließ, sagte Power: Assad dürfte in zynischer Abwägung angenommen haben, dass er damit durchkomme, weil Russland ihn im Sicherheitsrat decke – in einem Gremium, das sich nach der Gasattacke bei Damaskus "nicht einmal auf eine Presseerklärung einigen konnte". Die Rede sollte schwankende Abgeordnete von der Alternativlosigkeit eines Militärschlags überzeugen. Power, im Herzen eine Anhängerin humanitärer Interventionen, hielt sie offenbar aus tiefster Überzeugung.

Doch dann schlug die Weltpolitik um – nun muss sie mit dem Russen Witali Tschurkin an di­plomatischen Texten über die syrische C-Waffen-Abrüstung feilen.

Samantha Power ist ein Kind Bosniens. Nicht im Wortsinn: Geboren wurde sie 1970 in Dublin, und ihre nächste Lebensstation war Pittsburgh, Pennsylvania, wohin sie als Neunjährige mit ihren Eltern auswanderte. Aber die Balkankriege haben sie gründlich geprägt. 1993, gerade fertig geworden mit dem Studium an der Eliteschmiede Yale, reist sie auf eigene Faust ins zerfallene Jugoslawien, um für den Boston Globe zu berichten. Freiberuflich.

Zum Anekdotenschatz amerikanischer Journalisten gehört die oft erzählte Geschichte, nach der Roger Cohen von der New York Times ein Wodka-Wetttrinken gegen einen russischen UN-Diplomaten verliert, sternhagelvoll auf dem Gehsteig einschläft und sie, die Powerfrau, ihn allein zurück ins Holiday Inn in Sarajevo schleppt. "Rennst du, triffst du die Kugel. Gehst du langsam, wird die Kugel dich treffen", zitiert Power ein geflügeltes Wort aus der Stadt, deren Bewohner angesichts überall lauernder Scharfschützen den Fatalismus erlernten, um nicht verrückt zu werden.

Nach zwei Jahren ist die Reporterin am Ende, verzweifelt, weil die Staatengemeinschaft nicht gewillt scheint, das Blutvergießen zu stoppen. Nach dem Massaker in Srebrenica fliegt sie deprimiert nach Hause. "Es ging nicht um mich, Saman­tha. Es ging um Ohnmacht", sagt sie später. Offenbar vermöge kein Zeitungsartikel, auch nicht der beste und genaueste, die Politik einer Regierung zu ändern.

Den Balkanschock verarbeitet Power in einem Buch: A Problem from Hell ist eine pointierte Kritik an den USA, die sich allzu oft mit der Zuschauerrolle begnügten. Es beginnt mit Henry Morgenthau, US-Botschafter im Osmanischen Reich, der das Weiße Haus 1915 vergeblich zu überzeugen versucht, gegen den Völkermord an den Armeniern einzuschreiten. Und da ist Raphael Lemkin, ein polnisch-jüdischer Jurist, der im Holocaust fast seine gesamte Familie verliert und rastlos dafür kämpft, den Genozid auf die internationale Agenda zu setzen.

Ob Shoah, ob Ruanda, ob Bosnien: Jedes Mal habe die Welt zu lange weggeschaut. Selbst wenn "nur" Ausländer die Opfer seien, so Power, müssten die USA oft den Preis des Eingreifens zahlen, um Massenmorde zu verhindern.

Im Obama-Team seit 2005

2005, als der neue Senator Barack Obama sein Team zusammenstellte, engagierte er sie als Beraterin für Außenpolitik. Ehe sich Obama 2011 dazu durchrang, in Libyen auf der Seite der Rebellen gegen Muammar al-Gaddafi zu intervenieren, war es Power, die dem Skeptiker im Oval Office zuredete – im Trio mit Außenministerin Hillary Clinton und Susan Rice, die seinerzeit UN-Botschafterin war und inzwischen den Nationalen Sicherheitsrat leitet.

In besagtem Rat übrigens stand Power, bevor sie Rice am New Yorker East River beerbte, dem sperrig betitelten Atrocities Prevention Board vor, einer Art Frühwarnzentrale, die Alarm schlagen soll, wenn irgendwo ein zweites Bosnien, ein weiteres Ruanda droht. (Frank Herrmann aus Washington /DER STANDARD, 14.9.2013)