Um nicht auf der Straße zu landen, ertragen Frauen oft problematische Beziehungen. Bei Ester sollen sie zur Ruhe kommen.

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Wien - Frauen würden sich ihrer Obdachlosigkeit schämen und verstecken, sagt Renate Kaufmann. "Männer hingegen feiern ihr Schicksal quasi mit einem Doppelliter in der Öffentlichkeit", überspitzt die Bezirksvorsteherin von Mariahilf (SP) die Tatsache, dass obdachlose Frauen viel weniger sichtbar sind.

Weit mehr als Männer nehmen sie eine gewaltvolle Beziehung oder sexuelle Ausbeutung in Kauf, nur um nicht auf der Straße zu landen und noch mehr ausgeliefert zu sein. Wenn heute, Dienstag, Wiens zweites Tageszentrum für Frauen namens Ester seine Pforten öffnet, werden keine Männer die Räume der ehemaligen Drogenberatungsstelle Ganslwirt mehr betreten dürfen.

Verschnaufpause

Das Ester in der Esterházygasse soll Frauen, die bereits ihre Wohnung verloren haben oder von diesem Szenario bedroht sind, eine Anlaufstelle zum Verschnaufen bieten. "Wer hierher kommt, soll sich in Ruhe sortieren können", sagt die Leiterin Gabriele Mechovsky. Es gibt eine Küche, Grundnahrungsmittel, Spinde und Hygieneartikel. Die Besucherinnen können ihre Wäsche waschen und trocknen und - auf freiwilliger Basis - Beratung suchen. Alle Mitarbeiterinnen sind Frauen, eine Gynäkologin soll nach Möglichkeit bald dazukommen.

Bezirksvorsteherin Renate Kaufmann (SP) sagt in ihrem Teil der Eröffnungsrede, sie erinnere sich noch sehr gut an die heftigen Proteste gegen soziale Projekte vor rund 20 Jahren. "Heute sind alle stolz darauf." Anrainerinnen seien zum Besuch eingeladen.

Gesundheitsstadträtin Wehsely unterstreicht ihrerseits, dass Wien trotz anhaltender Wirtschaftskrise im Sozialbereich nicht gekürzt habe. 48 Millionen Euro nehme die Stadt jährlich in die Hand, um wohnungslosen Menschen zu helfen. "Das sage ich gerne jedem, der es hören will. Und noch lieber denjenigen, die es nicht hören wollen: Wir leben in Wien und nicht im Vergleich", sagt Wehsely.

Vorweise braucht es nicht

Maximal 50 Klientinnen können bei Ester Unterschlupf finden. Das Frauenwohnzimmer der Caritas ist bereits ausgelastet. Von den rund 9000 Menschen, die in Wien Wohnungslosenhilfe in Anspruch nehmen, sind etwa 2450 weiblich. Wie viele Frauen tatsächlich kein eigenes Dach über dem Kopf haben, sei nicht bekannt, sagt Kurt Gutlederer vom Fonds Soziales Wien (FSW). "Der Wunsch nach stabilem Wohnraum ist stärker ausgeprägt als bei Männern, die arrangieren sich leichter", erklärt Gutlederer.

Zu Beginn wird Ester an Montagen von 9 Uhr bis 14 Uhr geöffnet haben und an den übrigen Wochentagen bis 17 Uhr, wenn die Notschlafquartiere untertags zusperren. Kommen könne jede Frau, besondere Vorweise brauche es nicht, sagt Leiterin Mechovsky. Ab 2014 soll auch am Wochenende geöffnet werden. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 17.9.2013)