In einem Kommentar im STANDARD ("Die Lösung liegt bei den Muslimen selbst", 7. September) nimmt Ednan Aslan fälschlich an, dass die Welt durch nichts anderes als die Brille der Religion zu betrachten ist. Es ist höchst problematisch, aber überaus oft anzutreffen, dass die internationale Politik in Begriffen von Kultur und Religion gedeutet wird. Im Zeitalter des "Kampfes der Kulturen" wird das Denken in diesem Kultur-Paradigma oftmals als nicht zu hinterfragende Wahrheit präsentiert. Besonders gilt dies für die muslimische Welt. Als gäbe es weder politische noch soziale oder wirtschaftliche Vorgänge in diesen Ländern, die von der Religion des Islam nicht maßgeblich beeinflusst wären.

Die Rolle der Religion

Aber gibt es überhaupt so etwas wie die islamische Welt? Und handeln die Menschen in diesen Ländern nur als muslimische Subjekte? Ist es also die islamische Religion, die das Leben und Streben dieser Menschen erklärt? Paradoxerweise wird diese Reduktion meist nur von zwei Akteuren betrieben, die sich diametral gegenüberstehen, aber eben eine Gemeinsamkeit aufweisen: Die Extremisten, die sich in ihren Ausführungen auf den Islam beziehen auf der einen Seite und die Islamophoben auf der anderen Seite versuchen im Islam alleine die Ursache für alles Glück oder Übel zu sehen, ohne politische, ökonomische oder soziale Faktoren in ihre Analyse der Realität mit hineinzunehmen.

Da wird dann Gewalt - die ebenso wie Macht und Herrschaft einer jeden Gesellschaft inhärent ist - als per se islamisch, wenn auch post-prophetisch - gedeutet. Dieser verengte Blick, der auf einer Religionisierung der Politik (sowie Ökonomie und Gesellschaft) beruht, hat zu einer Entpolitisierung von Politik (sowie Ökonomie und Gesellschaft) auf diesen beiden Seiten geführt, die die weltlichen Konfliktlinien über- und verdeckt. Gewiss sind Akteure im religiösen Feld mehr dazu geneigt, die Welt in erster Linie mit religiösen Begriffen zu deuten. Der Ausschluss weiterer Faktoren aber offenbart einen allzu engen Blick auf die Vorgänge.

Nehmen wir aber nun an, dass wir tatsächlich in einer Welt lebten, die primär religiös zu deuten wäre und folgen wir dem weiteren Artikel. Hier täte es gut, Umberto Ecos Rat zu folgen und sich in wissenschaftlicher Demut als Zwerg auf die Schulter der Riesen zu stellen, um den Horizont weiter zu erblicken. Das würde immerhin erlauben, die komplexe Geschichte religiösen Denkens überhaupt einmal zu (er)kennen, bevor sie derart entstellt wird.

Kritisches Denken

Kein kritisches Denken hätte es gegeben, wird in dem Artikel der muslimischen Welt unterstellt. Es sei an dieser Stelle auf nur eine einzige Person verwiesen, die das Denken der islamischen (religiösen wie politischen) Erneuerungsbewegungen und Reformer unterschiedlichster Ausrichtungen im 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat: Jamal al-Din al-Afghani.

Seine Schriften sind Ausdruck der Selbstkritik, die seither das muslimische Denken begleiten. Davon zeugen nicht nur seine Auseinandersetzungen mit Ernest Renan und Francois Guizot, sondern das Erbe, das er hinterließ und welches auf vielfältigste Art und Weise weiterentwickelt wurde. Wer sich mit dieser Gedankenwelt auseinandergesetzt hat, der weiß, dass es nicht nur idealistische Konzepte waren, die in den Zirkeln der Denker diskutiert wurden und werden.

Diese Debatte veranschaulicht ein immer wiederkehrendes Phänomen im globalen Islam-Diskurs. Die Islamizität einer Person alleine wird zum Garant für ihre Expertise über den Islam, wobei der Islam so imaginiert wird, dass er jede weitere gesellschaftliche Ausdifferenzierung im Zeitalter der Kulturalisierung überschattet.

Farid Hafez ist promovierter Politikwissenschafter und lehrt derzeit Politische Bildung am Hochschulstudiengang für Islamische Religion an Pflichtschulen. In Kürze erscheint sein Werk Islamisch-politische Denker. Eine Einführung in die islamisch-politische Ideengeschichte. (Farid Hafez, Leserkommentar, derStandard.at, 17.9.2013)