
Ackerbohnen kommunizieren nicht nur über die Luft, sondern greifen - wie auch die meisten anderen Landpflanzen - auf ein unterirdisches Pilznetzwerk zurück, um Nährstoffe zu beziehen und Warnungen auszusenden.
Dutzende hungrige Erbsenläuse greifen eine Ackerbohne an - doch die Pflanze weiß sich zu wehren. Sie sendet ein Duftbouquet von Alarmsignalen aus, das Läuse fressende Wespen anlockt. Ihr Geruch wirkt für weitere sich anpirschende Pflanzenfresser mit einem Mal unangenehm. Und als kleiner Nachbarschaftsdienst warnt das Gewächs andere Ackerbohnen vor den Angreifern. Die Nutzpflanze ist also gut gewappnet.
Forscher um Zdenka Babikova und David Johnson von der University of Aberdeen hatten sich jedoch reichlich Mühe gegeben, all die ausgeklügelten Verteidigungsmechanismen zu untergraben, berichten sie im Fachjournal "Ecology Letters". Die Forscher hatten die Ackerbohnen in Plastiktüten gepackt, sodass Warnsignale wirkungslos verpufften. Völlig hilflos war die Ackerpflanze dennoch nicht. Sie warnte ihre Artgenossen auch ohne durch die Luft tanzende Moleküle: über ihr Wurzelnetzwerk, das "Wood Wide Web", wie es Experten gerne nennen.
Pflanzen befinden sich in einer ungemütlichen Situation: Fest verwurzelt im Boden haben sie keine Fluchtmöglichkeit - und stehen auf der untersten Sprosse der Nahrungskette. Armeen von Insekten wollen sie fressen. Deshalb mussten sie raffinierte Verteidigungsstrategien entwickeln. Dass sie Warnsignale über die Luft abgeben, ist bekannt. Doch erst in jüngster Zeit entdecken Biologen, dass Pflanzen auch über Pilze im Boden kommunizieren. Ein Vorgang, der sich Mykorrhiza nennt.
Unterirdischer Signalverkehr
Bei ihrem Experiment stellten Babikova und Johnson fest, dass Ackerbohnen, deren Wurzeln über Pilzfäden mit der angegriffenen Pflanze verbunden waren, innerhalb von 24 Stunden selbst begannen, ihre Abwehrmechanismen zu aktivieren. Offenbar hatten die Pilze die Nachricht von der drohenden Gefahr weitergeleitet. Es war die erste Studie, die belegte, dass Signale nach einem Überfall von Fressfeinden über das Pilzinternet übermittelt wurden.
Bereits 2010 hatte ein Team um den chinesischen Biologen Yuan Yuan Song von der Agraruniversität in Guangzhuo entdeckt, dass Tomaten über das Mykorrhiza-Netzwerk einander vor Mehltaupilzen warnen. Klar ist auch, dass die Pilze, ehe sie ein Wurzelsystem kolonisieren, der Wirtspflanze erst signalisieren müssen, dass sie keine Parasiten sind. Unterirdisch wird also viel geplaudert.
Zudem ist bekannt, dass die Wurzelpilze den Pflanzen als geschickte Nahrungsbeschaffer, mitunter als Familienförderer und Verteidigungswall dienen. Die Pilze liefern den Pflanzen dank ihrer langen Fäden aus dem umliegenden Boden Wasser und Mineralstoffe, die diese selbst mit feinen Wurzelhaaren nicht so effizient einsammeln könnten. Im Tausch liefert die Pflanze dem Pilz Photosyntheseprodukte wie Zucker.
Die Transaktion beschränkt sich nicht auf eine Pflanze und einen Pilz. Das Pilznetzwerk hilft, das Nährstoffgleichgewicht verschiedener Pflanzenarten zu halten, demonstrierte eine Arbeitsgruppe an der Universität Basel um Andres Wiemken und Florian Walder im letzten Jahr. Wenn Flachs und Hirse miteinander gepflanzt werden, gedeihen beide in einem frühen Entwicklungsstadium dank des Mykorrhiza-Netzwerks weit besser als in Monokulturen. Dabei stellten die Forscher fest, dass vorrangig der Flachs die vom Pilz gelieferten Nährstoffe, Stickstoff und Phosphor, aufnahm. Dankbar zeigte er sich aber nicht: Nicht er, sondern die Hirse lieferte dem Pilznetzwerk die meisten Kohlenhydrate.
Junge Hirse hat davon im Überfluss. Mineralsalze nimmt sie dagegen nur spärlich von den Pilzen auf. Später, wenn die Hirse Samen bildet, mutmaßt Wiemken, profitiert sie womöglich wieder mehr von dem Pilzgeflecht. "Dieser Verteilungsprozess kann als beispielhaft für die freie Natur gesehen werden", sagt Wiemken. "Die Pilze sind ein Gemeingut der Pflanzen, das hilft, Ressourcen effizient zu verteilen. So tragen verschiedene Pflanzen unterschiedlich zum Nährstoffhaushalt bei - einige liefern Stickstoff, andere Phosphate, andere mit tiefen Wurzeln wiederum Wasser."
Fürsorge zwischen Pflanzen
Dabei kümmern sich einige Pflanzen mithilfe der Wurzelpilze sogar gezielt um Verwandte. Die Biologen Susan Dudley und Amanda File von der McMaster University in Kanada berichteten 2012, dass Traubenkraut das Pilznetzwerk seiner Wurzeln besonders fördert, wenn es erkennt, dass sich in der Nachbarschaft Artgenossen finden. Dagegen hat die US-Biologin Kathryn Barto von der Xavier University in Ohio entdeckt, dass Studentenblumen über ihr Pilznetzwerk hemmende Moleküle aussenden, die das Wachstum von Konkurrenten in der Nachbarschaft hemmen.
Mykorrhiza-Geflechte sind also weit mehr als bloße Nährstoffbeschaffer. Über achtzig Prozent aller Landpflanzen sind über die Pilze miteinander verwoben. Und das seit langem: Fossilien legen nahe, dass Pflanzen und Pilze vor 500 Millionen Jahren gemeinsam das Festland besiedelten.
Welchen Vorteil die unterirdische Kommunikation gegenüber jener durch die Luft hat, welche Moleküle beteiligt sind und welche Botschaften sonst noch verteilt werden, ist ungewiss. "Diese Forschung steht völlig am Anfang", sagt Johnson. "Die Experimente brauchen viel Zeit, außerdem fehlen Forschungsgelder, obwohl das für die Agrarindustrie doch interessant sein müsste." (Hubertus Breuer, DER STANDARD, 18.9.2013)