
Katharina Auer sieht Stadtteile als Sozialraum.
Ein "Glasscherbenviertel" bezeichnet in vielen Städten eine etwas heruntergekommene Gegend. Auch in Niederösterreichs Landeshauptstadt St. Pölten gibt es ein paar Straßenzüge, denen die Einwohner diesen Namen geben: Es ist das Gebiet rund um die ehemalige Viskosefaserfabrik der Glanzstoff Austria, die 2008 ihre Fertigung einstellte. Alte Mietskasernen prägen die Straßen im früheren Industrieviertel, Sozialarbeiter betreuen dort Obdachlose. Mit der New Design University, die seit 2012 einen Teil der Fabriksgebäude verwendet, ist wieder frischer Wind in die Gegend gekommen.
Katharina Auer betrachtet das St. Pöltner Glasscherbenviertel als "Sozialraum". Als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Studiengangs Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Pölten hat sie Anteil an mehreren sozialraumorientierten Projekten in Österreich. Mithilfe von Methoden, die eine Region über ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und über die beteiligten Akteure, die diese Bedingungen reproduzieren, beschreiben, sollen etwa "Angstplätze" enttarnt und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Die Bewohner sollen in ihrer Beziehung zu den "physikalischen" Gegebenheiten, etwa zur Infrastruktur des Ortes, gesehen werden. Im Rahmen der European Researchers' Night am 27. September 2013, bei der 300 Veranstaltungen in ganz Europa stattfinden, bietet Auer eine Sozialraumbegehung durchs Glasscherbenviertel in St. Pölten an.
In einem anderen Projekt bringt Auer mit ihren Kolleginnen die Jugendlichen in den kleinen Gemeinden des Nibelungengaus an der Donau zusammen. Um junge Menschen stärker an der Gestaltung ihres Sozialraums partizipieren zu lassen, wurde ein "Jugend-BürgerInnen-Rat" organisiert.
Zufällig ausgewählte Schüler, Lehrlinge und Einwohner aus der Region diskutierten ihre Wünsche, erarbeiteten Ideen und stellten sie den Bürgermeistern vor. "Es gab viele Ideen, bei denen es darum geht, dass die Gemeinden der Kleinregion stärker miteinander kooperieren", sagt Auer. Die Orte des Nibelungengaus sollten im Rahmen von größeren Events an einem Strang ziehen, etwa um bei einer "Langen Nacht der Lokale" die Ortskerne zu beleben. "Treffpunkte, an denen sich junge Menschen austauschen können, waren ein großer Punkt."
Die 1986 geborene Auer absolvierte auch ihren Master in Sozialer Arbeit an der FH St. Pölten. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf "Case Management", einer Arbeitsweise, bei dem nicht einzelfallbezogen, sondern netzwerkorientiert gedacht werden soll. Multiproblemfamilien sollen dabei etwa in ihrer Sozialarbeiterin eine Ansprechperson für eine Vielzahl von Anliegen finden - ein Ansatz, der in Österreich leider noch wenig populär ist, erläutert Auer.
Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist Auer ehrenamtliche Bewährungshelferin beim Verein Neustart. "Es ist sehr wichtig, neben der Forschung eine Verbindung zur praktischen Arbeit aufrechtzuerhalten", sagt sie. "Man merkt, wie es an der Basis ist, wie sich Gesetzesbeschlüsse auswirken." Die in Wien aufgewachsene Sozialraumforscherin lebt mittlerweile in St. Pölten. Ihr früherer Job in einer Werbeagentur war "überhaupt nicht so meins". In der Sozialarbeit fand sie etwas, das "nichts mit der Werbebranche zu tun hat": "Genau mein Ding." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 18.9.2013)