Es sieht aus wie ein mutierter Schulp. Das ist dieses Ding, das man manchmal am Strand findet, der weiße verkalkte letzte Rest vom Tintenfisch. An einen Rochen könnte man auch denken, sagt die Designerin Patrycja Domanska. Dabei ist es ein Vibrator, genauer gesagt ein Aufliegevibrator. "Das Teil hat damals auf der Uni einen ziemlichen Wirbel verursacht, denn es sollte nicht als Diplomarbeit zugelassen werden. Einige Leute hatten massiv etwas dagegen. Dann ging es aber doch", erzählt die 28-jährige Gestalterin, Absolventin der Industrie-Design-Klasse von Paolo Piva an der Wiener Universität für angewandte Kunst.
Kein phallusförmiges Sexspielzeug
"Ich wollte kein phallusförmiges Sexspielzeug entwerfen, ich dachte an etwas, das nicht vorgeben soll, was man damit zu tun hat. Dafür hab ich gut 30 Bücher über Sexualtheorie studiert. Bei meinem "Sono Love" ist die Benützerin gefordert, das Ding auszuprobieren. Vielleicht springt auch deshalb der Handel bis jetzt noch nicht darauf an. Man erkennt nicht gleich das Wie und Was", erklärt Domanska, während sie an einem großen schwarzen Tisch in ihrem ebenerdigen Studio im neunten Wiener Bezirk sitzt.
Der Boden ist mit weißen Fliesen belegt, eine Treppe mit schmiedeeisernem Geländer führt auf eine kleine Galerie, wo der Computer im Schlafmodus vor sich hin döst. Auf einem Regal liegen in verschiedenen Grautönen gehaltene dreidimensionale Kacheln, kantige, hohle, gelaserte Porzellanfliesen mit Mikroperforation, die für Räume, aber auch ganze Fassaden gedacht sind. Die Fliesen namens "Edgy" seien extrem gute Schallschlucker, beschreibt Domanska das Projekt, das sie gemeinsam mit der Gestalterin Tanja Lightfoot realisierte. Darüber hängt ihre demnächst in Serie gehende Leuchte "Holo", die mit einem technochromen Pigment beschichtet ist. Erreicht der Lampenschirm - vom Leuchtmittel aufgeheizt - eine Temperatur von 31 Grad, verändert sich seine Farbe langsam von Türkis zu Weiß. "Warum soll man diese Energie nicht für eine gestalterische Veränderung nützen?", fragte sich Domanska.
Veränderte Wahrnehmung
Formal abgehoben steht jenes Großmöbel da, das sie gemeinsam mit Designer Felix Gieselmann für das "Große Wiener Kaffeehaus"-Experiment in der Säulenhalle des Wiener Museums für angewandte Kunst entwarf. Nicht Wimbledon hat sie zu dem Hochsitz inspiriert, sondern Karl Kraus, genauer gesagt sein Zitat: "Nicht um Leben aufzunehmen, treten diese Nachempfinder dann und wann aus dem Schneckengehäuse ihres angeblichen Ich heraus, nur um dessen kokette Windungen andächtig zu betrachten." Domanska kann es auswendig. Diesem Möbel, das in die Sammlung des Mak aufgenommen wurde und auf Bestellung von der Neuen Wiener Werkstätte gefertigt wird, liegt die Überlegung zugrunde, dass sich Literaten einst nicht nur zum Schreiben ins Kaffeehaus begaben, sondern sich dort durchaus auch inszenierten. "Es ist erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung dieses Möbels verändert, wenn man es mitten in den Raum stellt oder, sozusagen als Beobachterposten, irgendwo an eine Wand oder ein Fenster", sagt Domanska.
"Man muss lernen, in der Scheiße zu schwimmen"
Lust auf Design hat Domanska, die als Dreijährige ein Jahr vor dem Mauerfall mit ihren Eltern von Polen nach Wien kam, in vielen anderen Bereichen. So hat sie zum Beispiel auch Urnen im Programm und dazugehörend eine sogenannte Tränenvase, zu der sie der antike Brauch animierte, die Tränen von Trauernden in Gefäßen aufzufangen. "Das ist ja das Spannende am Design. Es gibt so viele Gebiete, man lernt so unglaublich viel beim Versuch, etwas zu kreieren, das es so noch nicht gibt", sagt sie. Dass dies für junge Designer nicht einfach ist, weiß sie, wusste sie schon während des Studiums. "Paolo Piva hat einmal gesagt: 'Man muss lernen, in der Scheiße zu schwimmen.' Ich denke, das hab ich." Und wie? "Indem man sich mit Drive hineintraut und sein Ding durchzieht", antwortet Domanska, die auf ihrem Bürosessel hin und her rollt und sich eine Zigarette anzündet. Und was ist ihr Ding?
"Ich glaube nicht, dass ich eine wiedererkennbare Formensprache formuliere. Ich bin auf anderen Gebieten eitel. Meine Objekte sollen im jeweiligen Kontext funktionieren. Darauf kommt es mir an", sagt die Designerin. "Es ist wie mit der Musik, manchmal höre ich Techno, ein anderes Mal Balkanfolk." (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 20.9.2013)