Wenn es nach dem Wiener Außenamt geht, findet nächstes Jahr in Sarajevo ein historisch zu nennender Gedenk-Großgipfel statt: Alle Staats- und Regierungschef Europas - und darüber hinaus - versammeln sich in der bosnischen Hauptstadt und gedenken der Ermordung des habsburgischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie, durch die am 28. Juni 1914 der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde.

Der österreichische Koordinator Botschafter Christian Prosl ist bereits allerorten tätig geworden - und in Berlin wie Paris haben Frau Merkel und M. Hollande positiv reagiert.

Ganz und gar ist aber die Sache nicht gelaufen. Im Gegenteil. Belgrad und Sarajevo reagierten nämlich scharf; und machen bewusst, dass die Grenzzäune in den Hirnen der Europäer gleich hoch sind wie vor hundert Jahren.

Nach dem Attentat vom 28. Juni 1914 wurde bekanntlich der Gymnasiast Gavrilo Princip unsanft verhaftet und - das Bild ging um die Welt - als Jugendlicher zu 20 Jahren Haft verurteilt. In Ketten wurde er ins böhmische Theresienstadt verbracht (einem späteren KZ der Nazis), wo er 1918 an Lungentuberkulose starb. Und weil sein total ausgemergelter Leichnam danach verschwand, kümmerte sich zuerst auch niemand darum. Der Heldenkult um Princip hatte eine gewisse Künstlichkeit; und den Nationalitäten im neuen Königreich Jugoslawien (SHS) war der Mörder unterschiedlich suspekt.

Erst unter dem kommunistischen Staatschef Tito wurde Princip dann zum großen Nationalhelden, Lateinerbrücke und Kai über den Fluss Miljacka nach dem "Helden" benannt, in ganz Jugoslawien Denkmäler errichtet und die Stelle der Pistolenschüsse Princips durch Fußabdrücke markiert. Dann wiederum kam der Zerfall der Volksrepublik und danach der Bürgerkrieg, der in Sarajevo an die zehntausend Tote verursachte. Nicht zu vergessen: Es gab wieder die alten Straßennamen und sogar ein kleines, aber um Fakten bemühtes Museum.

Gedenkjahr 2014

Nun, da das Gedenkjahr 2014 herannaht, rumort es im Stadtrat der multiethnischen Stadt: Die Serben wollen die Gedenkstätten für ihren "Helden" Princip wiedererrichten, die katholischen Kroaten und muslimischen Bosniaken sind strikt dagegen. Derzeit liegt sein Leichnam - so er auch der echte ist - auf dem Friedhof Kosevo, wo an der Kapelle eine Gedenkinschrift angebracht ist. Im serbischen Parlament in Belgrad schaltete sich mittlerweile auch Premier Ivica Dacic ein: Er sprach davon, dass Bosnien das einzige Land sei, das "Denkmäler für Okkupanten" errichten würde. Gemeint ist wohl: die Österreicher. Andere Sorgenvolle fürchten arge Missverständnisse mit dem internationalen Erinnern und Bedenken, einige Wichtigmacherei für Berufseuropäer.

Nun ist auch in Wien seit einiger Zeit Vergangenheitsbewältigung angesagt. Eine andere allerdings - wobei Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny die Umwandlung von "Ehrengräbern" prominenter Österreicher in "Historische Gräber" schon vollzogen hat. Das heißt: Die Lebenden sitzen über die Toten zu Gericht - und eine Kommission sollte offenbar bereits verhindern, dass es zu einer Art makabrem Kulturkampf kommt. Da mag es sekundär sein, dass es für die meisten Durchschnittsösterreicher unerfindlich bleibt, welche Prinzipien für die Errichtung - oder Verhinderung - eines Ehrengrabes der Stadt Wien gelten.

Also bilden für alle Ewigkeit am Wiener Zentralfriedhof Bundespräsidenten, Wiener Kommunalpolitiker, Showpeople und Sportgrößen, Schlagersänger und Volksschauspieler eine ehrwürdige Mischung. Nur hat man einem gewissen Bundeskanzler, der unter den Kugeln der Nazis verblutet ist, die neu geschaffene "Ehrengräberwürde" am Hietzinger Friedhof aberkannt.

Ehre für Conrad von Hötzendorf?

Und wenn Hans Rauscher im STANDARD auf die Person des zeitweiligen Generalstabschef bis 1916 aufmerksam macht, dann trifft er mitten hinein in eine Ideologiedebatte, die einiges aussagt über die neuere österreichische Tugendlehre. Tatsächlich war Franz Conrad von Hötzendorf ein peitschenknallender Kriegshetzer, der hunderttausende Soldaten in den Tod des Ersten Weltkriegs trieb; er war ein kaltblütiger Machtmensch mit gehörigem Standesdünkel und der Abneigung gegen die deutschen Generäle - seine Partner auf den Schlachtfeldern.

Tatsächlich aber hat Conrad keine Juden ins KZ geschickt, keine organisierte Liquidierung von Gefangenen angeordnet - und keine Giftgasangriffe durchgeführt; da war er bereits nicht mehr  Generalstabschef. Ihm also jetzt in jenem Grab, in dem er seit 1925 begraben liegt, die "Ehre" abzuerkennen, kommt einer verspäteten Rache der Nachgeborenen an ihren Groß- und Urgroßvätern nahe.

Und wenn es nun aber doch zu einem internationalen 1914-1918-Galopp in Sarajevo kommt, dann wird Österreich - jenes Land, das am höchsten gepokert und am meisten verspielt hat - auch auf einen Umstand verweisen müssen: dass nämlich die Mächte einen höchst schlampigen Umgang mit der Wahrheit betrieben haben, und das mehrere Generationen lang.

Keine Helden

Napoleon war ebenso wenig ein Strahleheld, als er seinem Marschall Lefebvre 1809 den Terrorbefehl gegen die Tiroler gab: "Seien Sie schrecklich!"; sie waren es. König Vittorio Emanuele III. erteilte seinen Generalstabchefs Cadorna und Diaz den Auftrag zum Terror am Isonzo, auch gegen die eigenen Soldaten auf der Flucht aus den Schützengräben; später hat der König fleißig mitgewirkt, die Machtergreifung der Faschisten in Italien zu befestigen.

Ungarns k. u. k. Admiral Horthy gab den Pfeilkreuzlern unter dem Faschistenführer Sztojay die Erlaubnis zur Liquidation zehntausender ungarischer Juden. Und damit ist man nicht weit weg von Kaiser Wilhelm II. - der lange vor Kriegsbeginn seinen Seesoldaten zwecks Niederschlagung des Boxeraufstandes nach China die blutige Order mitgab: "Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht." Es war der legendäre "Hunnenbefehl", der bis heute zwischen Angelsachsen und Deutschen steht. (Hans Magenschab, Leserkommentar, derStandard.at, 19.9.2013)