"Im Großen und Ganzen sind Prostatakrebspatienten gut versorgt."

Foto: DerStandard/Andy Urban

Erfahrungen auszutauschen hilft Patienten, ist Ekkehard Büchler überzeugt. Der Gründer der Selbsthilfe Prostatakrebs spricht über Tabus rund um die Erkrankung, Entscheidungen bei der Therapie und Behandlungstrends

STANDARD: Jedes Jahr wird bei 5000 Männern in Österreich Prostatakrebs neu diagnostiziert. Wer kommt in die Selbsthilfegruppe?

Büchler: Wir haben 170 Mitglieder aus Wien und Niederösterreich. In Relation zu den Erkrankungen scheint das wenig zu sein. Männer reden leider nicht gerne über medizinische Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, schon gar nicht über Prostatakrebs. Die Krankheit ist ein großes Tabuthema, selbst unseren Mitgliedern dürfen wir unsere Informationsbroschüren nur ohne Absender auf dem Kuvert schicken.

STANDARD: Was ist der Grund?

Büchler: Prostatakrebs scheint ein Synonym für Impotenz und Inkontinenz zu sein. Dabei stimmt das in dieser Eindeutigkeit nicht. Wir sagen unseren Mitgliedern immer:"Fix ist, dass nichts fix ist". Der eine leidet unter der Biopsie, ein anderer nicht, der eine steckt die Operation gut weg, andere weniger, der eine leidet massiv unter den Nebenwirkungen, andere weniger. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die innere Einstellung für die Lebensqualität sehr entscheidend ist.

STANDARD: Mit welchen Anliegen sind Sie konfrontiert?

Büchler: Die meisten Männer kommen nach der Diagnose zum ersten Mal. Operation oder Bestrahlung? Das ist meistens die Kernfrage. Wir sind keine Ärzte und können deshalb nur aus Erfahrung sprechen. Nur haben wir über die Jahre viel Wissen zum Thema angesammelt, haben ein Netzwerk aus Urologen aufgebaut, die regelmäßig Vorträge bei uns halten. Wir können also sehr gut über das Thema Auskunft geben. Die Entscheidung treffen dann aber Arzt und Patient.

STANDARD: Gibt es denn viele Entscheidungen zu treffen?

Büchler: Ja, vor allem bei Grenzfällen, also dann, wenn der PSA-Wert im Blut oder der Gleeson-Score (Hinweis auf Aggressivität des Tumors, Anm.Red.) nach einer Prostatabiopsie  nicht ganz eindeutig sind. In den letzten Jahren verzeichnen wir einen Trend, in solchen Fällen erst einmal abzuwarten und engmaschig zu kontrollieren - "active surveillance" ist der Fachbegriff dafür. Allerdings: Für dieses Abwarten muss sich ein Patient entscheiden - viele wollen lieber operiert werden, weil sie die Krebszellen aus dem Körper haben wollen.

STANDARD: Wie zufrieden sind Patienten mit der Behandlung?

Büchler: Im Großen und Ganzen sind Prostatakrebspatienten gut versorgt. Ich kenne kaum Fälle, wo Dinge wirklich schiefgelaufen sind, wir bekommen auch alle Medikamente, die am Markt verfügbar sind, und dafür sind wir dankbar. Es gibt aber schon Bestrebungen, Prostatakrebszentren einzurichten. Da wehren sich die Urologen zwar - ich denke, es wäre für die Qualitätssicherung aber wichtig. Wenn ein Patient zum niedergelassenen Urologen wechselt, weiß das Spital nicht mehr, wie die Krankengeschichte verläuft.

STANDARD: Sie meinen die Nebenwirkungen?

Büchler: Genau. Wie lässt sich sonst ermitteln, welche Behandlung und welche Operationsmethode hinsichtlich Impotenz und Inkontinenz am erfolgreichsten sind? Es geht ja immer um die Lebensqualität. In Umfragen zusammen mit dem Berufsverband haben wir herausgefunden, dass man auch mit diesen Widrigkeiten gut umgehen kann.

STANDARD: Klingt zu schön, um wahr zu sein ...

Büchler: Wir erleben immer wieder, wie wichtig es ist, über diese Probleme reden zu können. Gesunde Menschen vermeiden diese Themen - bei uns in der Selbsthilfegruppe gibt es jedoch keine Tabus, und das tut allen gut, die mit der Lebenssituation zurechtkommen müssen. Über Probleme reden können, das ist wichtig. Wir als Selbsthilfegruppe nehmen uns der seelischen Probleme von Prostatakrebspatienten an. Dafür stehen wir.

STANDARD: Was noch?

Büchler: Wir haben ein gutes Netzwerk in der Ärzteschaft aufgebaut, veranstalten Vorträge, helfen bei bürokratischen Hürden und können wahrscheinlich besser als jeder Allgemeinmediziner über die Erkrankung Auskunft geben. Wir haben Mitglieder, die seit Jahren gut mit der Krankheit zurechtkommen, und zwar im Sinne der Lebensqualität, um die es ja schlussendlich immer geht.

STANDARD: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Büchler: Eine heilende Behandlung ohne Nebenwirkungen, doch das ist Utopie. Konkreter wäre es, wenn wir finanziell so ausgestattet würden, dass wir besser als bisher gegen das Tabu Prostatakrebs ankämpfen können. In den vergangenen zehn Jahren hat sich vieles getan. Wir wollen, dass das auch weiter so bleibt. (Karin Pollack, DER STANDARD, 19.9.2013)