derStandard.at: Sie haben kürzlich in einer Studie die Erfahrungen österreichischer Unternehmen mit behinderten Mitarbeitern erhoben. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Demblin: Wir haben in ganz Österreich 250 CEOs und Personalverantwortliche befragt und festgestellt, dass Firmen, die den Schritt wagen und behinderte Menschen einstellen, im Nachhinein sehr zufrieden sind. 83 Prozent der Unternehmen, die bereits Menschen mit Behinderung beschäftigen, haben gute Erfahrungen gemacht und würden das auch anderen Unternehmen empfehlen. Damit korreliert auch, dass 80 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass Menschen mit Behinderung gute Arbeit leisten und eine wichtige Personalressource darstellen. Das war für mich vor allem deswegen überraschend, weil Arbeitgebervertreter ja seit Jahren gegen die Behinderteneinstellungsgesetze Sturm laufen und behaupten, diese seien nicht realistisch oder durchführbar.
derStandard.at: Stichwort Einstellungsgesetz: Wie konstruktiv sind die gesetzlichen Regelungen und Vorschriften?
Demblin: Von unternehmerischer Seite her gibt es da weniger Vorbehalte als befürchtet: Fast 75 Prozent der Unternehmen begrüßen diese Pflicht. Ich selbst finde die Einstellungspflicht ein bisschen problematisch. Die Quote stammt noch aus der Zeit nach dem Weltkrieg, um Kriegsverletzte wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen. Durch moderne Technologien und Hilfsmittel ist sie heute aber längst überholt, weil damit sehr viele Behinderungen kompensiert werden können. Ich fände es besser, statt einem Zwang positive Anreize zu setzen und zum Beispiel den Umbau eines Arbeitsplatzes zu fördern, wenn es nötig wird. Menschen wollen nicht aufgrund einer Quote eingestellt werden, sondern weil sie talentiert sind und Fähigkeiten haben.
derStandard.at: Auf welche Hürden treffen behinderte Menschen, die ins Berufsleben einsteigen wollen?
Demblin: Insgesamt wird die Einstellung von behinderten Mitarbeitern noch immer ein bisschen als Wagnis gesehen. Ein Problem sind die Bilder, die in vielen Köpfen noch vorherrschen. Viele Arbeitgeber erwarten sich, dass Menschen mit Behinderung eine geringere Leistung bringen oder öfter in Krankenstand gehen. Ich persönlich habe außerdem festgestellt, dass man als behinderter Mensch plötzlich auch anders wahrgenommen und behandelt wird: Die Leute sind verunsichert und nehmen einen nicht mehr für voll.
Ein zweiter Punkt ist der berühmte Kündigungsschutz, vor dem sich viele Unternehmen fürchten. Bei vielen ist immer noch nicht angekommen, dass dieser inzwischen extrem gelockert wurde: Die ersten vier Jahre sind Menschen mit Behinderung genauso leicht kündbar wie jeder andere auch, erst dann greift der verstärkte Kündigungsschutz. Da fehlt es auch an Information vom Gesetzgeber: In unserer Studie geben 60 Prozent der Unternehmen an, dass sie sich mit den gesetzlichen Regelungen nicht gut auskennen und sie sich nicht ausreichend informiert fühlen.
derStandard.at: Ganz grundlegend gefragt: Was habe ich als Unternehmen davon, einen behinderten Mitarbeiter einzustellen?
Demblin: Der erste Schritt wäre zu erkennen, dass es im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens liegt, mit der großen Gruppe der Behinderten professionell umgehen zu können. Man denkt bei Behinderten immer an Rollstuhlfahrer oder Blinde, aber 97 Prozent der Behinderungen sind Dinge, die man nicht sieht, von der Zuckerkrankheit über ein psychisches Leiden bis hin zum Bandscheibenvorfall. Es gibt auch viele Akademiker mit Behinderung, das sind also keineswegs nur Menschen, die man unten in die Portiersloge setzt, um zu beweisen, wie sozial das Unternehmen ist.
Zweitens tut man auch behinderten Menschen keinen Gefallen, wenn man sie in Frühpension schickt, wo sie den Staat enorme Summen kosten und ihr Leben zu Hause vor der Playstation verbringen. Arbeit gibt einem ja auch Sinn im Leben und integriert. Und nicht zuletzt profitieren die anderen Mitarbeiter ebenfalls. Durch den direkten Kontakt werden Berührungsängste abgebaut, und die Leute lernen, mit behinderten Menschen genauso umzugehen wie mit Menschen ohne Behinderung. Das stärkt auch die Bindung ans eigene Unternehmen, dass man sieht, aha, die Firma engagiert sich und tut was für ihre Mitarbeiter.
derStandard.at: Gibt es spezielle Positionen am Arbeitsmarkt, die für behinderte Menschen besonders geeignet sind?
Demblin: Grundsätzlich: nein. Es gibt keinen Job, der nicht mit einer Behinderung gemacht werden könnte. Ich stelle oft fest, dass Menschen auch immer genau an die Behinderung denken, die in dem Job am allerhinderlichsten wäre. Aber wenn beispielsweise ein Rollstuhlfahrer einen klassischen Bürojob macht und das Gebäude barrierefrei ist, ist das kein Problem. Oder auch ein Blinder in einem Callcenter - der kann sogar besser darauf geschult sein, zuzuhören, als jemand, der sehen kann. Generell sollten Unternehmen verstärkt darüber nachdenken, dass jemand, der mit einer Behinderung im Berufsleben steht, zwangsläufig daran gewohnt ist, sich durchzusetzen. Das ist gut für den Job.
derStandard.at: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Demblin: Meine Vision ist, dass Menschen mit Behinderungen ein ganz normales Leben führen können, dass möglichst viele Berührungspunkte mit nicht behinderten Menschen geschaffen werden und so Vorbehalte und Vorurteile abgebaut werden. Natürlich gehört hier auch die Integration am Arbeitsmarkt dazu. Ich wünsche mir, dass man Arbeitsplätze auch flexibler gestalten kann und im Denken und der Organisation von Arbeitsprozessen ein Umdenken einsetzt. Natürlich ist es nicht komplett unproblematisch, Menschen mit Behinderung einzustellen. Aber wenn man sich darauf einlässt, haben wir Rückmeldungen von Unternehmen, die durch die Bank sagen, es war nicht ganz einfach, aber wir haben viel gelernt und würden es jederzeit wieder machen. (Barbara Oberrauter, derStandard.at, 22.9.2013)