Warum investieren wir nicht einen Bruchteil der Energie, die wir in die Suche der optimalen Kinderbetreuung stecken, in unsere Eltern?

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Mein Vater macht in die Hose. Und das ist nicht nur so eine Phase. Ich kann nicht am Spielplatz neben der Sandkiste sitzen und mich mit anderen Müttern darüber unterhalten, dass er sicher bald sauber wird. Ich kann nicht erzählen, dass er die Windel tagsüber nicht mehr braucht und nachts auch immer seltener, weil es umgekehrt ist. Weil es schlimmer wird, nicht besser.

Während wir, was unsere Kinder betrifft, immer früher Vorsorge treffen, tun wir dasselbe für unsere Eltern nicht.

Oft wird schon vor der Geburt eines Kindes, gleich nach dem Eintreten einer Schwangerschaft, der eine, richtige, tolle Platz in der Kinderkrippe gesucht (zu recht übrigens: gute Kinderbetreuung für unter Dreijährige ist selbst in städtischen Ballungsräumen nicht immer gegeben). Weiter geht es mit dem Kindergartenplatz, die Suche nach der besten Volksschule wird dann schon beinahe wissenschaftlich betrieben, schließlich geht es um die Zukunft!

Drum prüfe

Wurde noch vor wenigen Jahrzehnten die Schule oft schlicht nach dem Wohnsitz gewählt und wurden die Kinder einfach in die nächstgelegenen Bildungseinrichtung geschickt, werden heute schon zwei Jahre vor der Einschulung diverse Schulen besucht und geprüft. Wer nicht bei mindestens fünf "Tagen der offenen Tür" war, darf nicht mitreden und ist den anderen Eltern suspekt. Das ist eher die Regel als die Ausnahme.

Weiter geht es mit den Freizeitaktivitäten und Förderungen, die hoffentlich schon beim kleinen Kind begonnen haben. Mit zehn Jahren ist es ja beinahe zu spät, um noch ungeahnte Talente aus dem Heranwachsenden zu rütteln. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen, aber: Warum investieren wir nicht einen Bruchteil dieser Energie in unsere Eltern?

Das Thema ist unangenehm

Die demografische Entwicklung in Europa ist hinlänglich bekannt, warum zum Teufel gehen wir davon aus, dass die Pflege der Eltern uns nicht erwischen wird. Die Antwort ist banal: Das Thema ist uns unangenehm. Es geht nicht um die Zukunft, kein Hoffen, nur Bangen.

"Die Anrufe kommen erst, wenn der Hut schon brennt", sagt Christian Lackner vom Pflegetelefon. Der Lebens- und Sozialberater ist einer von vier Mitarbeitern der Beratungsstelle. Die Einrichtung  des Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gibt es seit 1998, also seit 15 Jahren. 7.213 Anfragen wurden 2012 verzeichnet und über 8.000 Gespräche geführt. Das ist viel für vier Mitarbeiterinnen, von denen nur eine in Vollzeit beschäftigt ist. Aber wenig für ein Land, das zielsicher auf seine Überalterung zu humpelt.

Dabei wäre der Beratungsbedarf immens. Wer blickt schon durch bei Pflegegeld, Förderung der 24-Stunden-Betreuung, Urlaubs- und Ersatzpflege, steuerlicher Absetzbarkeit, Anrechnung von Versicherungszeiten oder Familienhospizkarenz? Wer bei den nicht weniger komplexen Fragen der Besachwaltung oder Patientenverfügung? Wer weiß überhaupt, dass es das alles gibt, bevor es ihn oder Angehörige am eigenen Leib betrifft?

Das Wissen um die Möglichkeiten

Dabei hat sich im Bereich der privaten Altenpflege viel getan. War meine Mutter in den frühen 80er-Jahren mit der Betreuung ihrer krebskranken Mutter bis zu deren Tod zu Hause noch weitgehend allein gelassen, gibt es sie heute die Beratungsstellen, mobilen Pflegedienste und finanziellen Hilfestellungen. Die Voraussetzung, sie in Anspruch zu nehmen: Man muss wissen, dass es sie gibt. Informiert werden, aber auch sich kundig machen.

Laut einer Studie des Bundesinstituts für Gesundheitswesen werden 80 Prozent der Alten hierzulande zu Hause gepflegt, 40 Prozent werden von der Lebenspartnerin oder dem Lebenspartner betreut, rund ein Viertel von den Kindern. 79 Prozent der pflegenden Angehörigen sind weiblich.

Dies deckt sich mit den Daten des Pflegetelefons, wonach deutlich mehr Frauen als Männer Informationen einholen (73 zu 27 Prozent). Am häufigsten rufen Töchter an, gefolgt von Ehefrauen und Söhnen. Überhaupt sind private Pflegepersonen die größte Gruppe der Anrufer, wobei auch immer mehr direkt Betroffene zum Hörer greifen.

"Direkt Betroffene sind oft nicht mehr in der Lage, den Anruf zu tätigen, da kommt es schon vor, dass die Enkelin für die Großmutter anruft", erklärt Christian Lackner. Und seine Kollegin Sabrina Glanzer sagt: "Wenn wir im Gespräch merken, dass die Person das selber nicht mehr kann, nehmen wir Kontakt mit anderen Stellen auf oder helfen dabei, ein Formular auszufüllen." Eine Besonderheit des Pflegetelefons ist, dass man einen fixen Ansprechpartner hat und nicht bei jedem Anruf alles von vorne erklären muss. Bei Bedarf kann man sich auch einen Termin vor Ort ausmachen.

Belastung ist oft Thema

Am häufigsten werden Fragen zum Pflegegeld beantwortet, gefolgt von jenen zur  24-Stunden-Betreuung, Betreuungsmöglichkeiten zu Hause und zu finanziellen Hilfen und Förderungen. Aber auch die persönliche Überforderung und Belastung ist ein Thema. "Wir sind ja kein Call Center, es geht auch um Entlastung in einer schwierigen Situation", sagt Lackner.

Das Infotelefon ist bundesweit kostenlos. Wenn "der Föderalismus zuschlägt", wie Lackner es formuliert, wird an die zuständigen Stellen in den Bundesländern verwiesen. "Unsere Zielgruppe sind Großteils ältere Menschen", sagt er, "nicht alle können mit dem Internet umgehen".

Leider wird das Durchschnittsalter der Anrufenden nicht erfasst. Ein interessanter Aspekt in der statistischen Auswertung ist die Rubrik "Andere": Sie umfasst jene Personen, die allgemeine Informationen über die Möglichkeiten der Pflege benötigen, aber nicht unmittelbar mit der Betreuung konfrontiert sind. Noch nicht.

Im Jahr 2012 waren das ganze 648 Personen. Dabei wäre es so leicht. Man ruft an, hinterlässt Namen und Telefonnummer und wird in der Regel innerhalb eines Tages zurückgerufen. Der Selbstversuch zeigt: Mit ein bisschen Glück innerhalb von zehn Minuten. Das ist schon einmal ein Anfang. (Tanja Paar, derStandard.at, 20.9.2013)