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Wien – Man konnte von einem klassischen Fehlstart sprechen: Als sich die Regierung vor fünf Jahren neu formierte, rollte gerade die weltweite Wirtschaftskrise heran, um Beschäftigte und damit Beiträge für Pensionsversicherung wegzufressen. Und dann ließ sich die Koalition im Verein mit der Opposition am Vorabend der Wahl 2008 zu einem teuren Geschenk hinreißen. Die Verlängerung und Ausweitung der "Hackler" -Frühpension sollte sich mit Kosten in Milliardenhöhe rächen.

Die Regierung habe sich einen Gutteil der Probleme, die sie in Sachen Pensionen zu bewältigen hatte, "selbst eingebrockt", urteilt der Wirtschaftsforscher Ulrich Schuh. Das Finanzloch in Zahlen: Allein von 2008 bis 2010 schwoll der Steuerzuschuss ins System der Altersversorgung von 7,67 auf 9,23 Milliarden Euro an.

Was danach kam, ringt dem Leiter des industrienahen Instituts Eco Austria jedoch einiges Lob ab. Die Regierung sparte nicht nur Geld ein, indem sie (vorübergehend) Pensionsanpassungen unter der Inflationsrate durchsetzte, sondern packte auch Reformen an, um ein Generalziel zu erreichen: Die Österreicher sollen künftig deutlich später in Pension gehen, als bereits mit 59 (Männer) und 57 Jahren (Frauen).

Eine "tolle Sache" nennt Schuh den Umbau der Invaliditätspension – sofern dieser halte, was das Konzept am Papier verspreche. Kern der Idee ist, angeschlagene Arbeitnehmer nicht mehr massenhaft in den Ruhestand abzuschieben, sondern ihnen eine Rehabilitation – je nach Leseart – zu ermöglichen oder oktroyieren. Weil es bei der Bewertung einer Berufsunfähigkeit aber großen Ermessensspielraum gebe, sagt Schuh, hänge viel davon ab, "wie das Ganze gelebt wird".

Ähnlich urteilt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo): Die Reform könne den Weg zu einer "vernünftigen Reintegration" in den Arbeitsmarkt ebnen. Doch die Probe in der Realität stehe noch aus. Die Gewerkschaft erwartet freilich unerwünschte Nebenwirkungen in Form höherer Arbeitslosigkeit, etwa durch die Lockerung des "Tätigkeitsschutzes": Ungelernte Werktätige können erst ab 60 statt 57 Jahren in Invaliditätspension gehen, wenn sie zu ihrer angestammten Tätigkeit nicht mehr fähig sind. In dieser Gruppe seien aber jetzt schon viele Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht, warnt der ÖGB.

Durchaus "deftig" (Schuh) fielen auch Verschärfungen bei der regulären Frühpension, der Korridorpension, aus. Die Abschläge für jedes vorzeitige Jahr steigen auf 5,1 Prozent – und damit stärker, "als versicherungsmathematisch nötig", überdies sind mehr Versicherungsjahre erforderlich. Auswirkung: Wer etwa drei Jahre vor dem gesetzlichen Pensionsalter von 65 in Pension geht, verliert in Summe ein Viertel seiner Leistung.

Selbst die lange verteidigte Hacklerregelung schränkte die Regierung ein, ging dabei unter Berufung auf den Vertrauensschutz aber "im Schneckentempo" (Schuh) vor: Die meisten Einschnitte greifen erst ab kommendem Jahr. Der Zustrom in diese Sonderform der Frühpension stieg im ersten Halbjahr 2013 denn auch um weitere 13,5 Prozent an. Bei den Invaliditätspensionisten – ein Drittel macht psychische Gründe geltend – gab es hingegen ein Minus von 12,3 Prozent.

Pension auf einen Blick

Als "gewaltigen Schritt vorwärts" (Schuh) beziehungsweise "Meilenstein schlechthin" (Mayrhuber) qualifizieren die Experten hingegen die Einführung eines echten Pensionskontos. Statt die Altersbezüge wie bisher in komplizierten Parallelrechnungen aus Alt- und Neurecht zu ermitteln, werden die Ansprüche in ein einheitliches System überführt. Im Konto soll dann jeder Versicherte sehen, wie viel Rente einmal zu erwarten ist. Die Leute könnten so erkennen, sagt Mayrhuber, dass sich länger arbeiten auszahlt – und dementsprechend handeln.

Reicht all das, um die Pensionen zu sichern? Bis etwa 2025 ja, glaubt Schuh, darüber hinaus aber nicht. Um das System "wirklich nachhaltig" aufzustellen, habe der Regierung letztlich "der Mut gefehlt" – immer noch lockten zu viele Schlupflöcher und Begünstigungen in den vorzeitigen Ruhestand.

Mayrhuber sieht das anders. Wenn die Reformen greifen, sei das System zukunftstauglich, meint sie und hält weitere grobe Eingriffe für nicht nötig. Ob die Altersversorgung gesichert sei, hänge vor allem von einer positiven Wirtschaftsentwicklung ab, die ausreichend Arbeitsplätze produziert. In diesem Zusammenhang sieht Mayrhuber ein Versäumnis: Zu einem Anreizsystem, um Betriebe am Rausdrängen älterer Bediensteter zu hindern, hat sich die Regierung nicht durchgerungen. "Seit 20 Jahren treffen Pensionsreformen die Versicherten", sagt sie: "Es ist Zeit, auch die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen." (Gerald John, DER STANDARD, 21.9.2013)