Kein Tag, an dem der Papst nicht für Schlagzeilen sorgt: nicht durch spektakuläre Auftritte, eher durch Gesten der Bescheidenheit. In sechs Monaten hat der Argentinier mehr bewegt als sein Vorgänger in sieben Jahren. Während Joseph Ratzinger um die Doktrin bemüht war, geht es Jorge Mario Bergoglio ums Evangelium.

Mit einem ungewöhnlich kritischen Interview hat er nun weltweit Aufsehen erregt: Er ermahnte die Kirche, gnädiger und einladender auf Menschen zuzugehen, auch wenn diese gegen moralische Regeln der Kirche verstoßen haben. Ausdrücklich ging er dabei auf Homosexuelle ein und auf Frauen, die abgetrieben haben. Franziskus fordert größere Barmherzigkeit in der Kirche. Sonst könnte ihr moralisches Gefüge "wie ein Kartenhaus" zusammenfallen.

In seiner Freitagpredigt legte der Papst noch nach. Gott sei mit Geld nicht vereinbar, Geldgier die Wurzel aller Übel: "Geld macht korrupt und führt zu Neid und Eifersucht." Man könne nicht Gott und dem Geld zugleich dienen.

Die Radikalität, mit der Franziskus das Evangelium predigt und verwirklicht, sorgt in Teilen der römischen Kurie ebenso für wachsende Nervosität wie sein Plan, eine kollegiale Kirchenführung zu etablieren und die traditionellen Machtkämpfe im Vatikan zu beenden. Auch hier wurde der Papst deutlich: "Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre." Doch an den machtbewussten Funktionären der Kurie sind schon etliche Päpste gescheitert. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 21.9.2013)