Das internationale Echo des Sieges Angela Merkels ist die eindrucksvollste Bestätigung dafür, dass heute kaum jemand Angst vor dem Deutschland des "Merkelismus" hat. Heribert Prantl in der "Süddeutschen" schreibt zu Recht über "die Ära des Merkelismus, einer Machtpolitik, der man das Machtvolle nicht anmerkt". Der Wahltriumph der CDU ist zweifellos eine überzeugende Bestätigung ihrer Politik des Strebens nach Kompromissen und ihres Politikstils der biederen Wendigkeit.

Für die Welt ist Merkel die Verkörperung des stabilen demokratischen Deutschlands, ohne mutige Experimente, aber auch ohne einen selbstmörderischen Streit über Grundwerte. Der Wahlausgang bestätigt übrigens das, was Ralph Dahrendorf, der liberale Denker, vor dreißig Jahren schrieb: "In seinen besten Möglichkeiten war das Jahrhundert sozial und demokratisch. An seinem Ende sind wir (fast) alle Sozialdemokraten geworden. Wir haben alle ein paar Vorstellungen in uns aufgenommen und um uns herum zur Selbstverständlichkeit werden lassen, die das Thema des sozialdemokratischen Jahrhunderts definieren: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat, Internationalismus." Wahlen werden in der Mitte gewonnen, und so stellte sogar die "Neue Zürcher" fest, Merkel handele wie eine sozialdemokratische Kanzlerin.

Trotz einer kritischen Bilanz ihrer Regierung empfahl der Londoner Economist bereits vor der Wahl Angela Merkel als die geeignete Persönlichkeit, Deutschland und Europa zu führen, als den begabtesten demokratischen Politiker der Welt, als "die große Führerin, die Deutschland und Europa so dringend braucht". Auch nach dem fulminanten Wahlerfolg ist allerdings fraglich, ob die Bundeskanzlerin diese Hoffnungen erfüllen kann. Der Zusammenbruch der FDP, jener Partei, die ihr vor vier Jahren den Steigbügel zur Regierungsbildung gehalten hat, setzt ihrem Spielraum engere Grenzen. Aus Bayern pocht der andere Sieger, Horst Seehofer, auf vermehrten Einfluss in Berlin. Der Preis für eine Koalition mit der SPD, die trotz leichter Gewinne das zweitschlechteste Wahlergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte aufweist, könnte noch überraschend hoch sein.

Die relativ gute Wirtschaftslage, die Pleite der Freidemokraten sowie die Schwäche der Grünen und der postkommunistischen "Linke" trugen zweifellos zum überraschend eindeutigen Sieg der Union bei. Trotz der von der gesamten deutschen Publizistik als bescheiden bezeichneten Bilanz ihrer Regierung gelang es Merkel durch die Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit - klug, bescheiden, vorsichtig, international angesehen -, freilich auch durch ihren enormen persönlichen Einsatz (fünfzig Reden in den letzten drei Wochen), ihre einmaligen Beliebtheitswerte zu verteidigen.

Es gibt für die absehbare Zukunft keine Alternative zur Siegerin Merkel. Niemand weiß, ob sie für die nächsten vier Jahre die Ambition oder die Kraft hat, als große Kanzlerin der Reformen und nicht bloß des Machterhaltes durch Beliebigkeit in die deutsche und europäische Geschichte einzugehen. Dass die Euroskepsis der Deutschen eine potenzielle Gefahr bleibt, lässt jedenfalls der erstaunliche Erfolg der Gruppierung "Alternative für Deutschland" erkennen. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 24.9.2013)