Nadja Bucher: Die wilde Gärtnerin.
Milena Verlag 2013, 250 Seiten, Euro 18,90

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Nadja Bucher veröffentlichte 2011 ihren Debütroman "Rosa gegen den Dreck der Welt".

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"Hauptberuflich macht sie Scheiße, würde Helen sagen." So wird die Protagonistin in Nadja Buchers neuem Roman "Die wilde Gärtnerin" von ihrer besten Freundin treffend beschrieben. Es geht um Scheiße im wahrsten Sinne des Wortes, denn Helen hat ein Humusklo. Sie ist Gärtnerin aus Leidenschaft und das Humusklo ist das Zentrum ihrer kleinen Welt im 8. Wiener Gemeindebezirk. Schon seit Jahren hat sie keinen Schritt in die Außenwelt getan und konzentriert sich ganz auf ihre Stoffwechselprodukte und darauf, wie diese Gutes in ihrem Garten tun.

Drei Erzählstränge

Helens Journal, ihre Tagebucheinträge in Ich-Perspektive, sind einer von drei Erzählsträngen, aus denen sich das Buch, um im Bild zu bleiben, rankt. Daneben gibt es eine historische Erzählung, die in kursorischen Einblicken eine Familiengeschichte von 1915 bis in die Gegenwart skizziert. Es ist, wenig überraschend, Helens Familie, die die Autorin in diesem Erzählstrang beschreibt. Ein Stammbaum gleich am Anfang des Buches sorgt dafür, dass man den Überblick behält. Die dritte Perspektive auf die Geschichte der wilden Gärtnerin eröffnet ein Verhörprotokoll. Helens "beste Freundin, Aufpasserin und Unterhalterin" Antonia Strabeck, wie diese Anfang 30, wird zu Ereignissen befragt, die schnell deutlich machen: Diese Hinterhofidylle stinkt.

Geschickt gelingt es Nadja Bucher, die Spannung aufzubauen. Es fängt ganz harmlos an - mit Beschreibungen vom Garten, einem eng begrenzten Alltag, der sich für Helen nur um Nahrungsaufnahme und - Abgabe dreht. Dynamik kommt in die Sache erst, als im Haus gegenüber eine junge Frau einzieht, deren Beobachtung für Helen zur Obsession wird. Ihr Schneckenhaus, ihre sorgsam abgeschirmte Innenwelt, die von den, den einzelnen Kapiteln vorangestellten Zeitungsschlagzeilen aus 2011 und 2012 kontrastiert wird, beginnt durchlässig zu werden. Damit gleicht das Buch in seinem Setting frappant Buchers Erstling "Rosa gegen den Dreck der Welt" (siehe dieStandard.at-Rezension "Überall sauber").

Beachtliche Längen

Die junge Frau, Berta, "jung, zielstrebig, herzhaft", nimmt ganz im Unterschied zu Helen sehr lebhaft an ihrer Umwelt Anteil, und als sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden  so unterschiedlichen Frauen entwickelt, wird Helen mit gesellschaftspolitischen Fragen konfrontiert, die sie seit Jahren erfolgreich verdrängt hat. Soweit, so klischeehaft. Trotzdem gelingt es der Poetryslammerin Nada Bucher, die 2011 das Staatsstipendium für Literatur erhalten hat, so etwas wie Sympathie und Interesse für ihre Figuren in der Leserin zu wecken. Die braucht es auch, hat das Buch mit seinen über 300 Seiten bisweilen doch beachtliche Längen.

Von einem langen, kalten Herbst über einen trostlosen Winter  bis zum Frühling dauert es, bis Helen durch Berta endlich erkennt: "Wer sich ausschließlich um seinen eigenen Scheiß kümmert, wird beschissen." Hätte sich diese Erkenntnis ein bisschen flotter eingestellt, wäre das kein Schaden für die Geschichte  gewesen. Aber Bucher nimmt sich viel Zeit, auch für die Einführung weiterer Personen wie Antonias Lover Benno, der – Überraschung – auch noch Consulter bei "Standard & Poor's" ist.

Literarische Fernsichtigkeit

Das Tempo des Buches wird sicher auch durch die historischen Einschübe gebremst. Doch gerade die möchte man nicht missen. Vom ersten Weltkrieg bis zum Ausbruch des Zweiten, den Kriegsjahren und dem Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre. Gerade in diesen Passagen gelingen Bucher überzeugende und berührende Schilderungen. Die historischen Charaktere, und da vor allem die Frauen, sind oft differenzierter dargestellt als jene der Gegenwart. Eigenartiger Weise scheint sich Buchers Blick zu schärfen, je weiter weg ihre Figuren ihr zeitlich liegen. Auf die Leserin wirkt das wie eine literarische Fernsichtigkeit der Autorin.

Ein genauerer Blick auf ihre Protagonistinnen, der sie noch stärker über das Klischée hinaus konturiert, wäre ein Gewinn gewesen. Auch sprachlich hätte noch gefeilt werden können, hier wird das Fäkalmotiv ein wenig gar zu sehr bemüht. So heißt es zum Beispiel über Berta: "Ihre Raumeinnahme erinnert mich an Bakterien, die den Darm eines Neugeborenen einnehmen."

Stark wirkt das Buch, wo es ins Absurde kippt, so treiben zum Beispiel immer mehr erfundene Schlagzeilen die fiktionale Wirklichkeit der Erzählung in eine überraschende Richtung. Ohne das Ende zu verraten, auf das die wilde Gärtnerin, langsam, aber gewiss zusteuert, sei gesagt: Die Rezensentin betrachtet die Frau im Haus gegenüber seit der Lektüre des Buches auf einmal mit ganz neuen Augen. (Tanja Paar, dieStandard.at, 25.9.2013)