Helga Nowotny, Präsidentin des europäischen Forschungsrats, fordert eine Aufwertung der Sozialwissenschaften.

Foto: Nowotny

Wenn die USA in diesem Fall Vorbildwirkung haben sollten, dann steuern die Sozial- und Geisteswissenschaften in Europa auf eine schwierige Zukunft zu: Im März hat der US-Kongress der Nationalen Forschungsstiftung (National Science Foundation NSF) vorgeschrieben, politikwissenschaftliche Forschung nur mehr fördern zu dürfen, wenn diese dem ökonomischen Interesse oder der nationalen Sicherheit dienlich sind.

Helga Nowotny, noch bis Ende des Jahres Präsidentin des angesehenen Europäischen Forschungsrats (ERC), sieht darin den möglichen Auftakt für noch schlimmere Entwicklungen. Wie die österreichische Wissenschaftsforscherin in einem Kommentar für die britische Tageszeitung The Guardian warnt, könnte die Unabhängigkeit der Grundlagenforschung ganz grundsätzlich gefährdet sein: Der Gesetzesentwurf zum "High Quality Research Act" sieht vor, dass die NSF verpflichtet wird, jede einzelne Förderentscheidung öffentlich zu rechtfertigen.

Für Nowotny zeigt sich am speziellen Fall der Politikwissenschaft, dass insbesondere die Sozial- und Geisteswissenschaften anfällig für solche Versuche der politischen Einflussnahme sind. Auch aus diesem Grund hat die ERC-Präsidentin gemeinsam mit dem Wissenschaftsrat Litauens im Rahmen der litauischen EU-Ratspräsidentschaft eine Konferenz organisiert, die dieser Tage in Vilnius stattfand - auch um klarer zu machen, worin die Relevanz der Sozial- und Geisteswissenschaften für die Gesellschaft besteht.

Dieser Wert ist für Nowotny ein doppelter: Zum einen erforschen sie die Gesellschaft und reichen in die Gesellschaft hinein. Zum anderen verlangen die wissenschaftlichen und technischen Innovationen auch soziale Innovation: Neuerungen aus den Naturwissenschaften müssen in der Gesellschaft verankert sein, und dabei spielen Sozial- und Geisteswissenschaften eine wichtige Rolle.

Der ERC trägt dieser Bedeutung längst Rechnung: 17 Prozent der Fördersumme gehen in diese Bereiche. Auch im neuen EU-Rahmenprogramm "Horizont 2020" werden in den nächsten sieben Jahren mehr als 28 Milliarden Euro unter der Bezeichnung "gesellschaftliche Herausforderungen" für Forschungen in Sachen Klima, Gesundheit oder Energieeffizienz bereitgestellt.

Die große offene Frage ist, wie gut dabei die Integration der Sozial- und Geisteswissenschaften gelingt. Die am Ende der Tagung in Litauen beschlossene "Erklärung von Vilnius" liefert für diese Integration jedenfalls etliche gute Argumente. (tasch, DER STANDARD, 25.9.2013)