Alte Sorten, neue Konzepte: Modelle wie die solidarische Landwirtschaft bringen Farbe in die eintönige Lebensmittelindustrie.

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Auf dem Markt einkaufen oder gleich direkt beim Bauern? Ein Biokistl abonnieren, Mitglied einer Lebensmittelkooperative werden? Oder doch selbst eine Parzelle oder einen Gemeinschaftsgarten bewirtschaften? Schritt für Schritt scheint das Land immer weiter in die Städte vorzudringen. Nicht zuletzt aufgrund regelmäßig wiederkehrender Skandale hinterfragen immer mehr Menschen die verschlungenen Wege, die ihr Essen durchläuft, bevor es auf dem Teller landet, und suchen nach Alternativen zu Supermarktketten und fragwürdigem Fertigfutter.

Was diese Entwicklungen für die Agrarwirtschaft, die Lebensmittelindustrie und die Konsumenten bedeuten, ergründen Wissenschafter aus 25 Ländern seit Montag bei der Konferenz "Foodscapes" der Uni Graz. Auf Schloss Seggau in der Südsteiermark wird noch bis Mittwoch die gesamte Nahrungslandschaft durchforstet - samt ihrer Widersprüche zwischen krankhaftem Übergewicht in den reichen und tödlicher Unterernährung in den armen Teilen der Welt, zwischen Wegwerfmentalität und Bioboom, zwischen Globalisierung und Rückbesinnung auf lokale Esskulturen.

"Grobalisierung" und "Glokalisierung" nennen Sozialwissenschafter die vorherrschenden Strömungen. "Tiroler Speck, der standardisiert und global vermarktet wird", gibt der Soziologe Markus Schermer von der Uni Innsbruck ein Beispiel für Grobalisierung (von engl. growth, dt. Wachstum). Von Glokalisierung könne man sprechen, wenn die Fastfoodkette McDonald's lokale Spezialitäten anbietet und mit heimischem Rindfleisch wirbt.

Zersplitterter Markt

"Die Konsumenten haben das Problem, dass sie nicht mehr wissen, was sie glauben können", sagt Schermer. "Die Konzentrationsprozesse und das gleichzeitige Bedürfnis nach Nachhaltigkeit und Transparenz führen dazu, dass der Markt komplett zersplittert." Unzählige Labels und Siegel machen die Verwirrung perfekt. "Viele sehen die Rückkehr zu lokalen und Do-it-yourself-Strukturen als Ausweg", konstatiert Schermer.

So treffen alternative Konzepte wie Urban Gardening auf fruchtbaren Boden. Und auch gemeinschaftlich organisierte Lebensmittelnetzwerke sprießen in Österreich: 2011 begann der Gärtnerhof Ochsenherz die Endverbraucher als Unternehmenspartner miteinzubeziehen und ihnen gegen einen Mitgliedsbeitrag Ernteanteile, etwa in Form von Gemüsekisten zu überschreiben. Das Modell, in den USA und Japan seit den 1960ern bekannt als Community-supported Agriculture (CSA), wird mittlerweile von einer Handvoll weiterer Initiativen gepflegt.

"Die ursprüngliche Idee einer solidarischen Landwirtschaft, bei der sich die Verbraucher nicht nur finanziell beteiligen, sondern auch auf dem Feld mitarbeiten, funktioniert in den wenigsten Fällen", betont Sandra Karner. Die Biologin ist am IFZ tätig, dem Grazer Standort des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung der Universität Klagenfurt, wo sie sich mit innovativen landwirtschaftlichen Netzwerken beschäftigt.

Dazu gehören auch "Food-Coops" - regionale Lebensmitteleinkaufsgemeinschaften, zu denen sich Produzenten wie Konsumenten zusammenschließen. Eine gemeinschaftliche Verwaltung, faire Preise, ökologisch und sozial verträgliche Produktionsbedingungen stehen auf ihren Fahnen. Das Geld für Bio- oder Regionalzertifizierungen spart man sich, die Vertrauensbasis wird über persönliche Kontakte hergestellt.

Kooperativen gibt es schon seit den 1970er-Jahren, 2007 brachte dann die Gründung von "Bioparadeis" durch Wiener Studierende eine neue Welle ins Rollen. Heute gibt es rund ein Dutzend Food-Coops in Österreich. "Diese Bewegung ist sehr politisch motiviert und basisdemokratisch organisiert" , sagt Karner. "Es geht nicht nur um kulinarische Qualität und ökologische Aspekte, sondern auch um alternative Organisationsstrukturen, die gewohnte Machtverhältnisse aufbrechen."

In einer Fallstudie, die sie bei der "Foodscapes"-Tagung präsentiert, hat Karner untersucht, inwiefern diese alternativen Netzwerke tatsächlich fruchten - also ob sie weiterhin ein Nischendasein fristen oder Potenzial haben, die etablierte Nahrungsmittellandschaft zu transformieren.

Dazu hat Karner die Strategien analysiert, mit denen sich alternative Anbieter positionieren. Einer davon ist "Almo", ein auf Almochsenfleisch spezialisierter Verbund von Bauern: "Es hat mit ein paar Mitgliedern begonnen. Jetzt sind es rund 500", schildert Karner. "Sie haben sich zwar dem Mainstream angeglichen, aber selbst darauf Einfluss genommen, indem sie etwa eine gesetzlich verankerte Ochsenprämie durchgesetzt haben. Sie sind also mit ihrer Nische gewachsen."

Einverleibung der Nischen

Eine ganz andere Wachstumsstrategie wählte die "Bioparadeis" -Kooperative: "Eine Professionalisierung widerspricht ihrer politischen Überzeugung. Wenn eine Gruppe auf etwa 50 Mitglieder angewachsen ist, spaltet sich eine neue Gruppe ab", sagt Karner. "Das Ziel ist, mit vielen Nischen das Regime zu infiltrieren."

Die weitaus häufigste Strategie aber sei das Herauswachsen aus der Nische, die Integration in das herrschende System, das sich seinerseits immer neuer Nischen bedient. "Das hat begonnen mit Bioprodukten im Supermarkt und ging weiter mit regionalen Spezialitäten bis hin zu Traditionsprodukten wie alten Kultursorten", sagt Karner. Die Einverleibung blieb nicht ohne Folgen: Bioproduktion nimmt immer öfter industrielle Maßstäbe an, Bauern müssen sich den Kriterien von Supermarktketten beugen - "die originäre Idee geht verloren".

Und doch bewegt sich so auch der Mainstream ein wenig in Richtung alternativer Konzepte: Neue Anbau- und Tierhaltungsmethoden werden übernommen, neue Standards gesetzt. "Es zeigt sich allerdings, dass technische Innovationen leichter angenommen werden als soziale", sagt Karner. "Gerechtere Organisationsformen benötigen gesamtgesellschaftliche Transformationsprozesse. Und diese dauern viel länger."

Gute Arbeitsbedingungen, faire Preise und gleichwertige Partnerschaften zwischen den Akteuren sind auch das Credo von Fair Trade. Auch hier haben Handelsketten und große Verarbeiter, die eine stetig steigende Zahl von Fair-Trade-Produkten eingeführt haben, die Strukturen massiv verändert.

"Es gibt sehr viel mehr verarbeitete Produkte und damit auch mehr Stufen in der Wertschöpfungskette", sagt Jutta Kister. Sie analysiert am Geografie-Insitut der Uni Innsbruck anhand einer Auswahl an Produkten, inwieweit sich dadurch die Machtverhältnisse zwischen Norden und Süden ändern. "Die lukrativen Aufgaben, also die Verarbeitung der Rohstoffe wie Kakao, das Produktdesign und die Verpackung erfolgen in den Industrieländern, wodurch die Produzenten weniger Teilhabe am Endprodukt haben", sagt Kister. "Die Problematik besteht darin, ein Wachstum des fairen Handels zu fördern und dabei die Glaubwürdigkeit zu erhalten."

Auch wenn noch eine tiefe Lücke zwischen Acker und Teller klafft - fest steht, dass das Bedürfnis, wieder näher zusammenzurücken, ungebremst wächst. Egal ob aus gesellschaftspolitischen Motiven oder einfach aus Freude an gutem und gesundem Essen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 25.9.2013)