Über Merkel diskutierten (v. li.) Cathrin Kahlweit, Joëlle Stolz, Gerfried Sperl (DER STANDARD), Othmar Karas und Fred Luks - und zwar kontrovers.

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Wien - Deutschland wird nach dem Sieg der Unionsparteien CDU und CSU bei der Bundestagswahl weiter eine Führungsrolle in Europa einnehmen - darüber waren sich die Diskutanten bei dem vom STANDARD veranstalteten "Montagsgespräch" weitgehend einig. Wie sich die Berliner Politik künftig in Brüssel widerspiegeln könnte, das wurde im Wiener Haus der Musik unter der Leitung von Gerfried Sperl aber recht kontrovers diskutiert.

Während sich Othmar Karas (ÖVP), einer der Vizepräsidenten des EU-Parlaments, darüber freute, dass ausschließlich proeuropäische Kräfte im Bundestag vertreten sein werden, sah Cathrin Kahlweit, Wien-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, das Wahlergebnis deutlich kritischer: Eine Diskussion über die Gemeinschaft habe, mit Ausnahme der EU-kritischen Alternative für Deutschland (AfD), im Wahlkampf gar nicht stattgefunden.

Auch das Gefühl der Menschen, dass "es so nicht weitergehen kann", habe sich in den Kampagnen nicht ausreichend abgebildet, bemängelte Fred Luks, Nachhaltigkeitskoordinator der Wirtschaftsuniversität Wien und Autor des Buches "Die Zukunft des Wachstums": Damit sei eine "grandiose Themenverfehlung" passiert. Zahlreiche Publikationen würden das Interesse am Thema belegen; dennoch werde "Wachstum" nur positiv dargestellt. "Dass jetzt alle Mutti wählen, hat auch viel mit Verunsicherung zu tun."

Ein "leichtes Spiel" für Kanzlerin Angela Merkel erwartete Kahlweit indes in der kommenden Legislaturperiode nicht. Diese habe es mit der FDP "relativ einfach gehabt: Die Liberalen hätten in Brüssel etwa für deutsche Autos oder die Industrie argumentiert. Dies könnte nun, etwa mit den Grünen, deutlich schwieriger werden. Die Kanzlerin könnte die mangelnde Unterstützung für die Zweistimmenkampagne der FDP noch bereuen - etwa dann, wenn sich die FDP mehr in eine EU-kritische Richtung bewege, so Luks. Er befürchte, "dass die FDP von der AfD zu lernen versuchen könnte".

Dass sich der andere mögliche Partner - die SPD - einer großen Koalition wirklich verweigern will, glaubten die Diskussionsteilnehmer indes nicht. Kahlweit: "Sie steht vor der Alternative, mit einer linken Mehrheit in der Opposition zu versauern oder in einer spannenden Zeit mitzuregieren". Da sei die zweite Option mit Sicherheit attraktiver. Die Partei werde sich vermutlich in den kommenden Tagen bewegen.

Gefahr aus Frankreich

Ein "eklatantes Ergebnis" sah Joëlle Stolz von der französischen Zeitung "Le Monde". Deutschland werde wohl oder übel "Leadership in Europa übernehmen müssen". Gefahr drohe etwa aus Frankreich, wo einzelne Konservative bei den Kommunal- und bald darauf bei den EU-Wahlen in Stichwahlen den erstarkten Front National unterstützen könnten. Eine zersplitterte, antieuropäische Rechte könnte die Folge sein.

Doch auch in Deutschland müsse Merkel Führungsstärke zeigen. Derzeit überwiege "der Faktor Zufriedenheit", sagte Kahlweit vor dem zahlreich erschienenen Publikum - darunter auch Freda Meissner-Blau, Galionsfigur der österreichischen Ökologiebewegung. Noch hätten die Menschen das Gefühl, sie seien "noch einmal davongekommen".

"Das Wachstum in Deutschland hatte aber seinen Preis", konstatierte Stolz. Man rede sehr viel über Stabilität - das Problem der mangelnden Verteilung des Reichtums in Europa traue sich aber niemand wirklich anzugehen. Wer in schlecht bezahlten Hartz-IV-Jobs arbeite, werde früher oder später frustriert: "Die Geschichte ist ein Kellner, der immer die Rechnung vorlegt. Und die kann sehr teuer werden." Auch diese Frage auf europäischer Ebene zu lösen liege nun maßgeblich in der Verantwortung Deutschlands. Immerhin habe Merkel von rechts keine starke populistische Konkurrenz zu fürchten - "ein großer Vorteil gegenüber Frankreich und Österreich". (Manuel Escher, DER STANDARD, 25.9.2013)