Das beste Mittel, um für die Ernsthaftigkeit des eigenen Anliegens zu werben, ist die Leugnung einer Selbstverständlichkeit. Die französische Romanautorin Cécile Wajsbrot hat einen kürzlich bei Matthes & Seitz erschienenen, durchwegs brillanten Essay aus ihrer Feder Für die Literatur genannt. Der Titel zeigt an, dass die Autorin für die Sache der Literatur Partei ergreift.

Dem Gegenstand ihres Engagements stellt sie aber auch sofort die Verlustanzeige gegenüber. "Ich möchte über etwas sprechen", fängt Wajsbrot an, "etwas, das vernachlässigt, aufgegeben wurde." Der in Rede stehende Gegenstand ist die Literatur selbst, deren Verschwinden die abwechselnd in Paris und Berlin Lebende (59) beklagt.

Ein anderes Wort sei an die Stelle der "Literatur" getreten: die "Écriture". Unter diesen Begriff fallen die vielen Tätigkeiten des Schreibens, das Ausfüllen eines Schecks, das Verfassen eines Briefs, aber auch die Abfassung eines Romans. Wajsbrots Polemik richtet sich gegen die Vergegenständlichung des Schreibens. Wer der "Écriture" huldigt, vertraut nicht mehr auf die alten Techniken der Illusionserzeugung. Die Romanform ist dem heutigen Schreiber suspekt. Er ergeht sich lieber in der Litanei, dass es ihm unmöglich geworden sei, einen Roman zu verfassen.

Das Ergebnis, schreibt Wajsbrot, seien Erzeugnisse zweiter Ordnung. Und da sie selbst eine sehr überzeugende Autorin ist, findet sie auch gleich ein Bild für die ungeliebte Kurtisane "Écriture". Die sei eine verhinderte Lebedame. Bitter beklage die Schöne ihr Los, bestimmten Dingen keinen Ausdruck verleihen zu können. Sie fächelt sich Luft zu, verharrt im Kreis ihrer hoffnungslosen Verehrer. Ihr Klagen nimmt kein Ende. Es sei ihr verwehrt, um fünf Uhr das Haus zu verlassen, "während sich draußen das wahre Leben abspielt" (Wajsbrot).

Der boshafte Vergleich aber ist mit Bedacht gewählt. Er zielt mitten hinein ins Herz der französischen Moderne. Es war der Dichter-Denker Paul Valéry, der seinem Unbehagen an der alles dominierenden Romanform wie folgt Ausdruck verlieh: Es sei ihm unmöglich, einen Satz zu schreiben wie "Die Marquise ging um fünf Uhr aus". Der Surrealist André Breton beklagte die Langeweile, die von Romanautoren erzeugt würde. Dostojewskis Verbrechen und Strafe beschreibe eben doch nur ein trostloses Zimmer. Doch erst mit dem Zivilisationsbruch von Auschwitz sei der Roman als Form endgültig in Misskredit geraten.

Die Folgen gleichen bis heute einem Pillenknick: Der "nouveau roman" verbannte das Interesse an Handlung und Figuren endgültig aus dem Repertoire. An seine Stelle trat die "Autofiktion": das unermüdliche Kreisen um das eigene Ich. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 1.8.2013)