Europa verzeichnet mehr als 26 Millionen Arbeitslose. Mit dieser erschreckend hohen Zahl sollte die oberste Priorität der europäischen Politik eigentlich klar sein. Sie ist es nur nicht, sondern im Gegenteil geschieht in Europa so manches, das der Beschäftigung nicht nutzt, sondern schadet.
Ein solcher böser Verdacht ist zu begründen, und das fällt leider nicht allzu schwer. Ich will gar nicht auf die drastischen Sparmaßnahmen zeigen, die den europäischen Südstaaten auferlegt werden. Dafür gibt es durchaus ernstzunehmende Gründe. Aber es gibt genug andere negative Folgewirkungen europäischer Politik. Nehmen wir als ersten Punkt die Geldpolitik.
Mit der derzeit verfolgten Politik niedriger Zinsen soll die Refinanzierung von Banken erleichtert werden, die viel (oder zu viel) an Geldern in die Finanzierung europäischer Staaten gesteckt haben. Weiters sollen, durchaus im Sinne traditioneller ökonomischer Modelle, Unternehmenskredite verbilligt und auch Konsumenten die Finanzierung ihrer Wünsche erleichtert werden. Beides sollte die Wirtschaft beleben.
Die Praxis zeigt, dass das so nicht funktioniert, und jeder weiß warum. Die Kosten von Krediten an Unternehmen sind sekundär, wenn sie wegen Basel III ohnedies kaum mehr zu bekommen sind. Das wird zwar offiziell heftig geleugnet, aber warum stagniert dann das Kreditvolumen in Europa? Gemäß Basel III kostet es die Banken viel Eigenkapital, wenn sie Kredite an Unternehmen ohne Rating vergeben - und das sind die meisten der europäischen Klein- und Mittelbetriebe.
Die EU geht in allen Bereichen nach dem gleichen Muster vor: Sie versucht umfassende Regelungen und erlässt Vorschriften ohne Ende, weit mehr sogar als in den USA der Bundesstaat gegenüber den Teilstaaten. Dahinter steckt, Herr Juncker hat es recht offen zugegeben, die bewusste Strategie, Kompetenzen und Einflussbereich immer weiter auszudehnen.
Aber diese Vorschriften bedingen immer mehr Aufwand. Der Generaldirektor einer österreichischen, international aktiven Bank hat im Vorjahr öffentlich bekanntgemacht, dass von seinen 2000 Mitarbeitern in der Zentrale 400 nur mehr mit der Bewältigung des umfassenden Melde- und Kontrollsystems befasst sind, das ihm die Aufsichtsbehörden der EU und der Länder vorgeschrieben haben, in denen die Bank tätig ist. Seit damals sind allein von der EU nicht weniger als 1600 (in Worten: eintausendsechshundert) Seiten allein im Bankwesen an neuen Detailregelungen dazugekommen.
Kein Steuerzahlerbund
In anderen Bereichen außerhalb der Banken ist die Regulierungswut nicht geringer - und sind die mit ihr verbundenen Kosten ebenfalls immer höher. In Österreich bestehen leider keine Einrichtungen, die etwa mit dem Bund der deutschen Steuerzahler vergleichbar wären. Schade. Denn in Deutschland hat man ausgerechnet, dass allein die seit Anfang 2013 zusätzlich erlassenen diversen Meldevorschriften die KMUs insgesamt mit mehr als zehn Millionen Euro pro Jahr belasten. Die wesentlich höheren inhaltlichen Kosten dieser Regelungen sind darin gar nicht enthalten.
Einzelne Funktionäre der EU haben das Problem erkannt. Kommissar Günther Oettinger plädiert öffentlich dafür, Klein- und Mittelbetriebe von so manchen Regelungen auszunehmen. Er hat nur allzu recht. Ohnedies diskriminiert durch die gerade skizzierten Effekte der aktuellen Bankenregulierung, werden sie zusätzlich mit Kosten belastet, die für sie immer schwerer zu tragen sind. Die Bedeutung von Klein- und Mittelbetrieben für die Beschäftigung ist bekannt. Was laufend an neuen Regelungen beschlossen wird, übersetzt sich nur allzu häufig ziemlich direkt in weiter steigende Arbeitslosenziffern.
Nun soll man nicht der EU allein die Schuld am derzeit grassierenden Bürokratisierungswahnsinn geben. Aber die Verbindung heimischer Bürokratie mit der reichen Fülle von EU-Regelungen hat Folgen, die über den unangenehmen und übrigens auch im internationalen Wettbewerb mehr als schädlichen Kosteneffekt noch hinausgehen.
Klein- und Mittelbetriebe sind eng mit ihrem regionalen Umfeld verbunden, weltweit operierende Konzerne haben meist fixe Standorte für ihre Zentralen, sind aber hinsichtlich der Produktionsstandorte weltweit beweglich. Das heißt aber auch, dass die Gestaltungsspielräume der Politik gegenüber Unternehmen umso größer sind, je kleiner diese sind, und, allen Beteuerungen über den Vorrang der Politik zum Trotz, umso kleiner, je größer die Unternehmen.
Wien und Brüssel
Zu den einfachsten und eigentlich ganz besonders naheliegenden Strategien für mehr Beschäftigung würde gehören, nicht mehr, sondern einfachere und leichter überschaubare und auch eher leistbare Regelungen zu schaffen. Hier könnte der gerade wieder gängig gemachte Begriff der "Entfesselung" recht direkt in Praxis übersetzt werden. Da sind beide gefordert, die künftige Regierung hier und Brüssel dort. (Manfred Drennig, DER STANDARD, 26.9.2013)