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Griechische Studenten gingen am Mittwoch in Athen auf die Straße, um gegen Faschismus und die Ermordung des Rappers Pavlos Fyssas zu protestieren.

Foto: Reuters / Yorgos Karahalis

Javied Aslam hat ein Stück Papier aufbewahrt, hinten und vorn dicht mit roter Schrift beschrieben. Es ist sein Beweis für das Versagen des griechischen Staats und für die Zusammenarbeit der Polizei mit den Faschisten der Partei Goldene Morgenröte.

Auf Aslams Zettel stehen die Namen und Telefonnummern von 50 Einwanderern; Pakistanis zumeist, die an zwei Tagen in Folge von einem Mob mit Messern und Holzknüppeln angegriffen wurden - rechtlich folgenlos. Zwei Jahre ist das nun her, am 10. und 11. September 2011 in Aspropyrgos, einem Vorort im Nordwesten Athens. "Es hat sich seither nichts geändert. Die Polizei ist die größte Gefahr für uns", stellt Javied Aslam fest, Vorsitzender der Pakistanischen Gemeinschaft in Griechenland und der Gewerkschaft der Migrantenarbeiter.

Oder richtiger: Es hat sich hinter den Kulissen nichts geändert, sagt der Anwalt Aslam. Denn seit der politisch engagierte Hip-Hop-Sänger Pavlos Fyssas vergangene Woche von einem Mitglied von Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) niedergestochen wurde, hat die griechische Regierung der Nazi-Partei den Kampf angesagt. Tausende zogen am Mittwoch zu einer Protestkundgebung zum Syntagma-Platz in Athen.

Zwei hohe Polizeioffiziere reichten zu Wochenbeginn ihren Rücktritt ein, vier Beamte wurden vom Dienst suspendiert. Wegen ihrer Verwicklung in die Aktivitäten von Chrysi Avgi, so meldeten die Medien in Athen. Es war ein Mord dafür notwendig - an einem Griechen, wohlgemerkt. Als im Jänner dieses Jahres ein 27-jähriger Pakistani morgens auf dem Weg zur Arbeit in Athen auf der Straße erstochen wurde, stellten Kabinettsminister und Parlamentarier noch in Abrede, es könnte sich um eine rassistische, politisch motivierte Mordtat handeln.

Nun ist die Justiz aktiver geworden. Fälle von Körperverletzung, an denen Mitglieder der Goldenen Morgenröte beteiligt sein sollen, werden zusammengelegt. Ermittlungen gegen vier Parlamentsabgeordnete der Nazi-Partei, deren Immunität schon vor Monaten aufgehoben worden war, kommen angeblich in Gang.

Kalkül mit Faschistenwählern

"Es wird nichts ändern", glaubt John Loulis, ein Politikberater. "Ein Teil der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia sieht über die Rhetorik und die Aktivitäten von Chrysi Avgi hinweg. Warum? Weil diese Partei zehn bis elf Prozent der Stimmen bekommt." Die Konservativen von Premier Antonis Samaras, seit 15 Monaten an der Macht in einer wenig respektierten Koalition mit den noch mehr geschwächten Sozialisten, versuchen, diese Stimmen zu bekommen, so erklärt Loulis. "Sie wissen aber nicht, wie sie das bewerkstelligen sollen. Soll man die Nazis beschwichtigen? Oder besser aggressiv gegen sie vorgehen?"

Längst sind die Faschisten in Umfragen zur drittstärksten Kraft im Land geworden. Ein relativer Wert in Griechenlands zersplitterter Parteienlandschaft, aber das Anti-Establishment ist ein Machtfaktor: Das Linksaußen-Bündnis Syriza stand einmal bei vier Prozent, heute ist es die größte Oppositionskraft. Und Chrysi Avgi sitzt mit 18 Abgeordneten im Parlament in Athen. "Die Griechen wählen Chrysi Avgi, weil sie ex­trem wütend auf das politische System sind. Aber das sind keine Faschisten. Mehr als die Hälfte dieser Wähler bezeichnet sich als weder rechts noch links", erklärt Loulis: "Sie sind das, was wir hier früher die politische Mitte genannt haben."

Früher war vor der Krise, vor den 27 Prozent Arbeitslosen und den mittlerweile sechs Jahren Rezession. Die Wut auf die politisch Verantwortlichen sitzt - "sie ist ein Schild für Chrysi Avgi", sagt John Loulis. Der Aufschrei nach dem Mord an dem Sänger Fyssas hat die Faschisten offenbar nur einen Prozentpunkt gekostet, zeigen neue Umfragen.

"Trainierte Messerstecher"

"Sie wollten ihn nur verletzen. Sie wissen, wie man das macht. Sie sind trainiert auf Messerstiche ins Bein oder in den Rücken", sagt Petros Konstantinou, linker Stadtverordneter in Athen, über die Chrysi-Avgi-Männer. Aber Fyssas ließ sich nicht einschüchtern.

Ihre große Wählerschaft hat Chrysi Avgi in der Polizei, glaubt man Untersuchungen nach den Wahlen 2012. 55 Prozent der Polizeibeamten sollen damals die Faschisten gewählt haben. Anonym enthüllen Ex-Parteimitglieder dieser Tage nun, wie die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Partei funktioniert. Anzeigen, deren Aufnahme verletzte Einwanderer auf einer Polizeiwache oft erst einmal durchsetzen müssen, wanderten demnach als Kopie an die Parteisitze von Chrysi Avgi in Athen und anderswo im Land. Die Schläger der Partei nahmen dann "Revanche".

"Wie kann man unter diesen Umständen erwarten, dass die Polizei Einwanderer schützt?", fragt Javied Aslam. (Markus Bernath aus Athen, DER STANDARD, 26.9.2013)