Die Steuerpolitik war eines der bestimmenden kontroversiellen Themen im deutschen Wahlkampf. Die Auseinandersetzung über die steuerpolitischen Grundlinien in der nächsten Legislaturperiode wird mit den nun anlaufenden Koalitionsverhandlungen nahtlos fortgeführt. Dabei fokussiert die Steuerdebatte weiterhin stark auf die Frage, in welche Richtung sich die Gesamtabgabenbelastung entwickeln soll: ob also die Steuern insgesamt erhöht oder gesenkt werden sollen. Diese Kontroverse geht allerdings an der Problemlage vorbei. Die deutsche Abgabenquote befindet sich mit knapp vierzig Prozent der Wirtschaftsleistung im europäischen Mittelfeld. Für eine Senkung der Gesamtabgabenlast besteht weder die unmittelbare Notwendigkeit noch – bei einer Schuldenquote von etwa achtzig Prozent – der Spielraum: Zumal gleichzeitig in den Bereichen Kinderbetreuung, Schulen, Universitäten und öffentlicher Verkehr anhaltender Ausgabenbedarf besteht. Umgekehrt gibt es durchaus eine Alternative zur von den bisherigen Oppositionsparteien geforderten Erhöhung der gesamten Steuerbelastung: nämlich, einen Teil der für die kommenden Jahre erwarteten Haushaltsüberschüsse für die erforderlichen Zukunftsinvestitionen zu verwenden statt für den Abbau der Schuldenquote.

Der steuerpolitische Handlungsbedarf wird dagegen zu wenig thematisiert. Das deutsche Abgabensystem setzt – ähnlich wie das österreichische – stark auf arbeitsbezogene Abgaben, während vermögensbezogene Steuern und Umweltsteuern unterdurchschnittlich ausgeschöpft werden. Eine wachstums- und beschäftigungsverträglichere, ökologisch effektivere und sozial ausgewogenere Abgabenstruktur erfordert umfassende – aufkommensneutrale – Strukturreformen. Einerseits sind Einkommensteuer und Sozialbeiträge vor allem für die unteren und mittleren Arbeitseinkommen zu senken. Dies kann andererseits gegenfinanziert werden durch eine Stärkung vermögensbezogener Steuern. Ihr Anteil am Abgabenaufkommen liegt mit 2,3 Prozent bei weniger als der Hälfte des Durchschnitts der alten EU-Länder und sinkt langfristig. Konkrete Ansatzpunkte wären die Einschränkung der großzügigen Ausnahmen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer, die Erhöhung der Grundsteuer durch eine verkehrswertnahe Bewertung von Immobilien sowie ergänzend die Anhebung der Kapitalertragsteuer um einige Prozentpunkte. Gleichzeitig wäre die ökologische Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung fortzuführen, die höhere Steuern auf Treibstoff, Erdgas und Strom zwischen 1999 und 2003 für Senkungen der Rentenversicherungsbeiträge verwendet hatte. Nach dem Ausbleiben weiterer Ökologisierungsschritte ist der Umweltsteueranteil am Abgabenaufkommen, der bis Mitte der 2000er-Jahre auf den EU-Schnitt gestiegen war, wieder auf unterdurchschnittliche sechs Prozent gefallen.

Studien zu den Effekten der deutschen Ökosteuerreform sprechen für ihre Fortsetzung. Die Verschiebung der Abgabenlast von der Arbeit zum Energieverbrauch bewirkte einen Rückgang der CO2-Emissionen und einen Anstieg der Beschäftigung ebenso wie Innovationen bei Energieeinsparung und Energieeffizienz. Im Sinne eines zukunftsfähigen Abgabensystems sollte daher dem Ausbau der Umweltsteuern, die im deutschen Wahlkampf ebenso wie hierzulande kaum eine Rolle spielten, in den Koalitionsverhandlungen wesentlich mehr Augenmerk geschenkt werden. Das könnte auch der mit ähnlichen Problemlagen konfrontierten österreichischen Steuerdebatte einen dringend benötigten nachhaltigen Impuls geben. (Margit Schratzenstaller, DER STANDARD.28.9.2013)