Wahlzelle - physischer Ausdruck des Wahlgeheimnisses.

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Ihren Namen hat die Zelle aus dem Lateinischen, er kommt von "cellula", was für kleine Kammer steht. Mönche und Eremiten lebten in solchen. Man findet das Wort daher oft an heiligen Stätten wie Mariazell, Engelszell oder auch Zell am See - und an unheiligen wie der Gefängniszelle.

Das zusammengesetzte Hauptwort "Wahlzelle" ist neueren Ursprungs, laut "Grimms Wörterbuch" ist sie zuerst am 1. Februar 1903 im "Kladderadatsch", einer seinerzeit vielgelesenen Satirezeitschrift, als solche bezeichnet worden. Offiziell sprach man damals noch vom "Isolierraum, in den sich der Wähler bei der Reichstagswahl zu begeben hat". Diese Wahlen waren in Deutschland (und Österreich) damals zwar bereits allgemein und geheim, aber das Wahlrecht war auf Männer beschränkt.

Die Bezeichnung Wahlzelle hat sich in Österreich (anders als in Deutschland, wo man von Wahlkabinen spricht) eingebürgert, steht bei uns sogar im Gesetz: Im Paragraf 57 der Nationalratswahlordnung wird bestimmt, dass in jedem Wahllokal mindestens eine Wahlzelle stehen muss. Die Ausstattung im Detail bleibt der Gemeinde überlassen, ein Tisch oder ein Stehpult muss aber vorhanden sein, auch ausreichende Beleuchtung. Sonst aber heißt es: "Als Wahlzelle genügt, wenn zu diesem Zweck eigens konstruierte, feste Zellen nicht zur Verfügung stehen, jede Absonderungsvorrichtung im Wahllokal, die ein Beobachten des Wählers in der Wahlzelle verhindert."

Dass man solche Vorkehrungen trifft, hat einen tiefen politischen Grund: Niemand soll Vorteile oder gar Nachteile daraus haben, wenn man seinen Wahlakt rekonstruieren könnte. Daher gilt als rechtlich problematisch, wenn jemand in der Wahlzelle ein Foto von sich und dem ausgefüllten Wahlzettel macht und ins Internet stellt.

Das Wahlgeheimnis war nicht immer ein so hohes Gut. In einer Denkschrift des preußischen Staatsministeriums vom August 1849 heißt es: "Einem freien Volk ist nichts so unentbehrlich als der persönliche Mut des Mannes, seine Überzeugungen offen auszusprechen."

Dennoch hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass das Wahlgeheimnis mit unmittelbarer Stimmabgabe zur modernen Demokratie gehört - und diese Ansicht ist besonders in der Sozialdemokratie so tief verwurzelt, dass die Alternative der Briefwahl bis heute eher argwöhnisch betrachtet wird, weil sie ein gewisses Missbrauchspotenzial birgt. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 28./29.9.2013)