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Der charismatische Theaterzauberer Walter Schmidinger.

Foto: APA/Pfarrhofer

Berlin - Als gelerntem Dekorateur einer Tuchhandlung war dem Linzer Walter Schmidinger die Laufbahn als Schauspieler nicht an der Wiege gesungen worden. Schmidinger, der das Max-Reinhardt-Seminar in Wien absolvierte, glich denn auch einem Kometen. Im Heer der Darstellungsbeamten war er der waidwunde Zerrissene.

Seine Antriebsenergien bezog dieser Nervenschauspieler aus einem unbekannten, von außen nicht ermittelbaren Kraftzentrum. Oft wirkte er auf der Bühne sogar so, als wäre er sich selbst ein großes, beunruhigendes Rätsel. Seine Figuren glichen durchwegs unruhig pulsierenden Himmelskörpern. Dazu mengte Schmidinger in seine Auslassungen einen unüberhörbar österreichischen Ton.

Er war lebenslang ein Kind des inneralpinen Volks- und Zaubertheaters. Ein genialisch Frühvollendeter, der einst am Wiener Josefstadt-Theater begann, um nacheinander alle deutschen Theatermetropolen zu erobern. Nach Bonn riss er in München die Kammerspiele und das Bayerische Staatsschauspiel nieder und zu Begeisterungsstürmen hin. Als er in den 1980er-Jahren nach Berlin wechselte, war sein Gesicht bereits ein kostbares Gut in Film und Fernsehen: die immer wie verdutzt wirkende Miene einer durch und durch poetischen Natur.

Als er in späteren Jahren den einen oder anderen Abstecher in seine alte Heimat unternahm, wirkte Walter Schmidinger womöglich noch zerbrechlicher und durchgeistigter. Da hatte er schon den Hamlet gespielt, den Lear, den Nathan, natürlich einen unvergleichlichen Malvolio, den unglücklich-lächerlichen Liebeswerber aus Shakespeares illyrischer Komödie Was ihr wollt (Regie: Wilfried Minks).

Unvergessen bleibt seine Lesung aus Joseph Roths Hiob-Roman im Wiener Akademietheater. Schmidinger drückte seine wohltönend gaumige Suada in lichte Höhen empor. Von diesem Gipfel herab haderte Roths Hiob mit Gott, zieh ihn der Ungerechtigkeit, beklagte die verfehlte Schöpfung. Schmidinger, der oft wie ein Kammermusiker des Worts zu musizieren verstand, gebot völlig selbstverständlich über die reichste Instrumentationskunst.

Über die dunklen Seiten in Schmidingers Gemüt ist viel spekuliert worden. Wer mit ihm die Zusammenarbeit suchte (und wer hätte sie nicht bereitwillig gesucht?), der musste damit rechnen, dass der Schwierige von einem Tag auf den anderen den Bettel hinwarf. Andererseits besaß Schmidinger das Talent zur Freundschaft. Und er war sich auch im höheren Alter nicht zu gut oder zu schade, sein Charakterantlitz dekorativeren Aufgaben zu widmen, etwa als Figur in Robert Wilsons Scherenschnitt-Inszenierungen am Berliner Ensemble.

Der 2006 mit dem "Lebenswerk"-Nestroy Geehrte ist jetzt im Alter von 80 Jahren in Berlin gestorben. Der Verlust dieses Zauberers ist für das Theater unersetzlich. (poh, DER STANDARD, 30.9.2013)