Das Problem mit dem jüngsten "Demokratiepaket" in der Türkei sind nicht die Reformen, die Regierungschef Tayyip Erdogan vorgestellt hat. Sie mögen manchen zu halbherzig sein, anderen zu weit gehen; sie machen historisches Unrecht gut, öffnen den Weg zu einer friedlicheren Gesellschaft; sie leisten einmal mehr, was Regierungen und die Armee vier Jahrzehnte lang, seit der Hinrichtung des Reformpremiers Adnan Menderes 1961, versäumt oder blockiert haben. Das Problem mit Erdogans Demokratisierung ist eben das: Sie ist Erdogans Entscheidung. Demokratie kommt in der Türkei von oben.
Auch das fünfte Reformpaket ist der Ausfluss autoritären Denkens. Erdogan bestimmt, was in das Paket kommt und wann die geeignete Zeit ist, um es der Öffentlichkeit mitzuteilen. Natürlich wird es eine Parlamentsdebatte geben – auch über den Vorschlag, die Sperrklausel auf fünf Prozent abzusenken. Die Annahme der Reformen ist gleichwohl Formsache: Erdogans AKP hat die absolute Mehrheit.
Wie sehr aber hätte es die Demokratisierung aufgewertet, wenn die Bürger auch etwas zu sagen gehabt hätten! Erdogan traut ihnen nicht, er braucht nicht ihre Meinung, nur ihre Stimme am Wahltag. Denn Kritik verstehen die Regierenden in der Türkei als Bedrohung, den Kompromiss als Schwäche. Und Erdogans Demokratie hat auch einen Preis: Sie macht die Türkei noch islamischer. Das Kopftuchverbot in der öffentlichen Verwaltung wird nun fallen. (DER STANDARD, 1.10.2013)